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258 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant
hauptstadt ist die Annahme, die Stubaier – zumindest diejenigen, die sich dafür in-
teressierten – dürften von den Entwicklungen in Wien mit nur kurzer Verspätung
gegenüber den Innsbruckern erfahren haben, wohl gerechtfertigt.864
Weit besser dokumentiert ist hingegen, wie die Revolutionsereignisse seitens der
kaiserlichen Behörden an die Bevölkerung kommuniziert wurden. Eine ganze Reihe
von gedruckten Kundmachungen und Proklamationen, ausgestellt von der kaiser-
lichen Regierung in Wien oder vom Landesgubernium in Innsbruck, die entweder
direkt oder über das Kreisamt in Schwaz dem Landgericht Mieders und von diesem
den einzelnen Gemeindevorstehungen zur allgemeinen Bekanntmachung – meist
durch Aushang in den Gemeinden – übermittelt wurden, sind in den Akten des
Landgerichts erhalten.865 Dieser Quellenbestand ist jedoch in mehrfacher Hinsicht
problematisch: Erstens ist aus dem bloßen Vorhandensein behördlicher Mitteilun-
gen und der bekannten Praxis, diese an zentraler Stelle in den einzelnen Gemeinden
anzuschlagen, nicht ersichtlich, welche Reichweite diese tatsächlich hatten. Zweitens
dürfen mögliche alternative Informationsquellen, die neben den offiziellen für den
Kenntnisstand in der Region wesentlich gewesen sein mögen, nicht ausgeblendet
werden – auch wenn diese nicht rekonstruierbar sind. Drittens – und das ist das
gravierendste Problem – lassen derartige Quellen keinen Schluss darauf zu, wie die in
ihnen kundgemachten Informationen von den Adressaten rezipiert wurden: Am 30.
März 1848 wurden die Ortsseelsorger in den einzelnen Gemeinden des Landgerichts
Mieders im Namen des Kreisamtes aufgefordert, feierliche Hochämter abzuhalten,
„um dem Allmächtigen für die von Sr. Majestät dem Kaiser dem Vaterlande gewährte
Constitution und für die glückliche Herstellung der öffentl. Ruhe und Sicherheit zu
dancken“.866 Vorausgesetzt, dass die angeordneten Hochämter tatsächlich gehalten
und entsprechend besucht wurden sowie dass der Anlass für diese den Kirchgängern
kommuniziert wurde, kann aufgrund dieser Quelle wohl davon ausgegangen wer-
den, dass spätestens dadurch der überwiegende Großteil der Talbewohner zumindest
864 Als Hinweis für die vielfältigen Kommunikationswege, auf denen Informationen ins Stubaital kom-
men konnten, seien die Briefe Johann Pfurtschellers an seinen Bruder Franz aus dem Monaten April
bis Juni 1848 genannt. Johann setzt seinen als Hauptmann der Stubaier Schützenkompanie in die
Valsugana ausgerückten Bruder (Vgl. Kap. 3.5.2.) hinsichtlich der neuesten Ereignisse des Revoluti-
onsfrühjahrs ins Bild. Als seine Informationsquellen nennt er Zeitungen, Briefe von Geschäftspart-
nern sowie diverse Gesprächspartner, mit denen er beziehungsweise andere Stubaier – vornehmlich
in Innsbruck – zusammengetroffen waren. (Vgl. TLMF, Hist. Samml., Nachl. MP, IV, Bund 1, Nr.
53, 55, 56, 59, 60, 62 u. 84.)
865 Vgl. TLA, Aktenserie LG Mieders, Fasz. 56, 1848, Abt. XVI.
866 Vgl. KA Schwaz an LG Mieders, 25. März 1848, TLA, Aktenserie LG Mieders, Fasz. 56, 1848, Abt.
XVI. – Auf der Rückseite des Schreibens findet sich die Abschrift der daraufhin vom Landgericht an
die Ortsseelsorger ergangenen Anordnung.
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Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Titel
- Ein Bürger unter Bauern?
- Untertitel
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Autor
- Michael Span
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 470
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435