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260 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant
schuss, der eigentlich mit der Ausarbeitung befasst war, wurde damit vorgegriffen.871
Auf die Frage, wie denn die Bevölkerung in „seinem“ Landgerichtsbezirk zu dieser
neuen Verfassung stehe, vermeldete Alois von Guggenberg nun jedenfalls kurz und
knapp:
„Die Verfassungsurkunde hat auf die Gerichtsuntergebenen einen günstigen Eindruck ge-
macht. Der Landmann betrachtet dieselbe als ein Geschenk der Güte Sr. Majestät des ge-
liebten Kaisers.
An diese Gesinnung knüpfet sich aber der allgemeine Wunsch, daß auch die Provinzial-
oesterreichischen, und deutschen Reichstagsversammlung günstig ausfallen möchten.“872
Tatsächlich wirft von Guggenbergs Bericht – zumindest aus heutiger Sicht – mehr
Fragen auf, als er beantwortet. Erstens ist angesichts dieser Quelle, in der ein in hie-
rarchischer Abhängigkeit stehender Beamter über „die Gerichtsuntergebenen“ verall-
gemeinernd Bericht erstattet, ohnehin schon erhöhte Vorsicht geboten. Doch selbst
unter der Annahme, dass es dem Landrichter tatsächlich – nach bestem Wissen und
Gewissen – gelungen ist, eine Grundtendenz in der Einstellung „seiner Gerichtsun-
tergebenen“ gegenüber der „Verfassungsurkunde“ festzuhalten, bergen seine Worte
eine weitere schwerwiegende Problematik: Diese Verfassungsurkunde vom 25. April
1848 war zu dem Zeitpunkt, als von Guggenbergs Bericht entstand, eigentlich schon
nicht mehr aktuell. Am 16. Mai 1848 war sie auf revolutionären Druck hin abge-
ändert und damit zwar „nicht ausdrücklich aufgehoben“, aber doch „faktisch außer
Kraft gesetzt“873 worden.874 Es ist somit – wiederum sei auf die Annahme verwiesen,
lich kommentiert – hier: Reiter, Verfassungsdokumente, 2005, S. 27–40.
871 Vgl. Stockinger, Dörfer und Deputierte, 2012, S. 379; sowie: Rumpler, Eine Chance, 2005, S. 279.
872 Abschrift LG Mieders an KA Schwaz, 29. Mai 1848, TLA, Aktenserie LG Mieders, Fasz. 56, 1848,
Abt. XVI.
873 Stockinger, Dörfer und Deputierte, 2012, S. 386.
874 Vgl. ebd.; sowie: Heiss/Götz, Rand der Revolution, 1998, S. 52. – Vor allem die Einrichtung eines
Senats als erster Kammer des Parlaments, in dem die Prinzen des Kaiserhauses, vom Kaiser auf Le-
benszeit ernannte Mitglieder sowie 150 Repräsentanten der wichtigsten Großgrundbesitzer vertreten
sein sollten, und das exklusive, auf die Gruppe der „Höchstbesteuerten“ beschränkte, aktive und
passive Wahlrecht, nach dem diese zu wählen waren (Vgl. dazu die „Provisorische Wahlordnung für
den ersten österreichischen Reichstag“ im kaiserlichen Patent vom 9. Mai 1848: PGS Nr. 57/1848
(Patent vom 9. Mai 1848), S. 166–183.), hatten Proteste – vor allem bei radikaleren Liberalen und
Demokraten – hervorgerufen. (Vgl. Stockinger, Dörfer und Deputierte, 2012, S. 381–387; sowie:
Rumpler, Eine Chance, 2005, S. 280.) „Zur Beruhigung der am 15. May 1848 in Unserer Residenz-
stadt Wien entstandenen Aufregung“ verfügte der Kaiser am 16. Mai in einer Proklamation dann
eine Abänderung der Verfassung vom 25. April beziehungsweise der erwähnten Wahlordnung. Der
erste Reichstag sollte demzufolge nur aus einer Kammer – nämlich der Abgeordnetenkammer – be-
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Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Titel
- Ein Bürger unter Bauern?
- Untertitel
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Autor
- Michael Span
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 470
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435