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3.5. 1848 267
chael Pfurtschellers, Johann, bemerkenswert. Dieser sah seine Zeitgenossen als von
den revolutionären Neuerungen überfordert, betrachtete sich selbst offensichtlich als
zumindest hinsichtlich seines Informationsstandes überlegen:
„Gestern war Wahl bei uns zum Comitée der Nationalgarde902 wo etwa 26 a 30 Stimmen
abgegeben wurden, mit 2 Stimmen wurde der Platzwirt gewählt der nun zur Formierung
der Garde im Kreiß Unterinnthal bestimmt ist:903 gleich hernach kam er zu mir + [und]
fragte was ist zu thun ich verstehe von allem nichts. Ich sagte ihm er solle seine Wähler fra-
gen ich habe ihm weder Stimmen noch Instruktion oder Belehrung zu geben, so erzdumme
sind unsere Leute, Jemanden zu wählen der nicht einmal weiß was er zu thun hat.
Morgen ist Wahl zur Landes Versammlung904 ich will gerne sehen was da wieder für Kräh-
winkler aufs Tapet kommen.“905
902 Die „Volksbewaffnung“ im Sinne der Aufstellung einer Nationalgarde war eine der revolutionären
Forderungen im März 1848 gewesen. (Vgl. Heiss/Götz, Rand der Revolution, 1998, S. 51.) Thomas
Stockinger verweist auf die Ambivalenz dieser Institution zwischen der Bewaffnung potenzieller Re-
volutionäre und Sicherheitswache gegen gewalttätigen Aufruhr der Unterschichten. (Vgl. Stockin-
ger, Dörfer und Deputierte, 2012, S. 341–350.) So wies beispielsweise – wie bereits erwähnt – auch
das Landespräsidium in Innsbruck nach den neuerlichen gewalttätigen Auseinandersetzungen in
Wien Anfang Oktober die untergebenen Kreisämter an, in größeren Gemeinden eine National-
garde „zum Schutze des Eigenthums und der persönlichen Sicherheit“ gegen etwaige „anarchische
Bestrebungen“ einzurichten. (KA Schwaz an LG Mieders, 13. Oktober 1848, TLA, Aktenserie LG
Mieders, Fasz. 56, 1848, Abt. XVI.)
903 Die folgende Tätigkeit des „Platzwirts“ Joseph Fieg ist in den Akten des Landgerichts ersichtlich:
Reisekostenabrechnung Joseph Fieg, 17. Mai 1848, TLA, Aktenserie LG Mieders, Fasz. 56, Abt.
XVI.
904 Johann Pfurtscheller bezieht sich hier auf die Wahlen zum Landtag, vgl. Anm. 906.
905 Johann Pfurtscheller an Franz Pfurtscheller, 2. Mai 1848, TLMF, Hist. Samml., Nachl. MP, IV,
Bund 1, Nr. 55. – Gerade vor dem Hintergrund der Revolution des Jahres 1848 mag das Wort
„Krähwinkler“ hier Assoziationen zu Johann von Nestroys am 1. Juli 1848 uraufgeführten Lustspiel
„Freiheit in Krähwinkel“, in dem sich der Autor satirisch den revolutionären Ereignissen widmet,
hervorrufen. (Vgl. Johann Nestroy, Freiheit in Krähwinkel, Wien 1849; sowie: Wilfried Dittmar,
Freiheit in Krähwinkel, in: Kindlers Literatur-Lexikon, Bd. 12, München-Stuttgart 20093, S. 44
f.) „Krähwinkel“ als „Name eines nur gedachten Ortes, der als Musterbild beschränkter Kleinstäd-
terei gilt“, wie es in Grimms Wörterbuch heißt, (Vgl. Jacob Grimm/Wilhelm Grimm, Deutsches
Wörterbuch, Bd. 11, Leipzig 1873, Sp. 1975.) ist jedoch bereits seit Beginn des 19. Jahrhunderts in
einer Reihe von Publikationen – Prosa, Theater- und Musikstücke – in Verwendung. Nachdem Jean
Paul schon im Jahr 1801 wohl als erster „Krehwinkel“ als Sinnbild für provinzielle Kleinstädterei
und fiktiven Schauplatz für „Das heimliche Klagelied der jetzigen Männer“ verwendet hatte, habe
August von Kotzebue mit „Die deutschen Kleinstädter“ 1803 gar den Typus des „Krähwinkelstücks“
begründet. Eine Reihe von „Krähwinkeliaden“ folgte noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
(Vgl. Dittmar, Freiheit, 2009, S. 44 f.; sowie: Yvonne-Patricia Alefeld, August von Kotzebue, in:
Kindlers Literatur-Lexikon, Bd. 9, München–Stuttgart 20093, S. 363–366, hier: S. 364.) Von wo
Ein Bürger unter Bauern?
Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Titel
- Ein Bürger unter Bauern?
- Untertitel
- Michael Pfurtscheller und das Stubaital 1750–1850
- Autor
- Michael Span
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20144-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 470
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Jugend- und Ausbildungsjahre 41
- 3. „Landesverteidiger“ und Schützenkommandant 55
- 3.1. 1797 58
- 3.2. 1799/1800, 1805 77
- 3.3. 1809 88
- 3.3.1. Der europäische Rahmen 88
- 3.3.2. Die bayerische Regierung 89
- 3.3.3. Das Stubaital und die bayerische Regierung 92
- 3.3.4. Michael Pfurtscheller im Vorfeld der Tiroler Erhebung 113
- 3.3.5. Michael Pfurtscheller als Akteur im Erhebungsjahr 122
- 3.3.5.1. Die „Bauern“ erobern Innsbruck 124
- 3.3.5.2. Ausschreitungen und Plünderungen in Innsbruck 133
- 3.3.5.3. Die Kapitulation Bissons 141
- 3.3.5.4. Pfurtscheller und die Organisierung der Landesverteidigung 149
- 3.3.5.5. Unterwegs mit dem Landsturm 154
- 3.3.5.6. Die Kapitulation der Innsbrucker Schutzdeputation und Michael Pfurtscheller 163
- 3.3.5.7. Deputationen nach München und Wien 170
- 3.3.5.8. Die Kämpfe am Bergisel im Mai 172
- 3.3.5.9. „Zwischenkriegszeit“ 180
- 3.3.5.10. Die Kämpfe im August 185
- 3.3.5.11. „Hofers Regiment“ 194
- 3.3.5.12. Fortsetzung des Widerstandes trotz des Friedens von Schönbrunn 201
- 3.3.5.13. Die Pazifizierung des Stubaitales 217
- 3.3.5.14. Exkurs: Das Stubaital als Rückzugsraum für Flüchtlinge 223
- 3.3.6. Der Aufstand im Innkreis 1813 und die Zurückhaltung der Stubaier 225
- 3.4. Erbhuldigung 1838 236
- 3.5. 1848 251
- 4. Michael Pfurtschellers Stellung in Dorf und Tal 287
- 5. Familie Pfurtscheller 315
- 6. Michael Pfurtscheller und die Stubaier Wirtschaft 359
- 6.1. Wirtschaftliche Grundvoraussetzungen des Stubaitales 359
- 6.2. Zahlen und Daten zur Stubaier Wirtschaft 363
- 6.3. Michael Pfurtscheller als Handelsmann 383
- 6.4. Michael Pfurtscheller als Wirt 410
- 6.5. Pfurtschellers Krämerei 422
- 7. Schlussbemerkungen 425
- 8. Anhang 435