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Die Verortung der »habsburgischen Kultur« 27
Die Anknüpfungspunkte an die Herrschaftsverhältnisse der Habsburgermo
narchie ergeben sich diesbezüglich aus der von Hannah Arendt in Elemente
und Ursprünge totaler Herrschaft (1986) entwickelten These, dass die Erschei
nungsformen moderner Herrschaftspolitik – Natonalismus, Kolonialismus und
Imperialismus – in einem Wechselverhältnis zu sehen sind, deren Verbindung
die symbolische Fomation des Rassismus ist (ibid.: 253). Vor dieser Denkfolie
erscheint nun der Zusammenhang von europäischem Nationalismus, wie er ge
rade für die Spätphase der Habsburgermonarchie konstitutiv ist, und außereu
ropäischem Kolonialismus, dessen Elemente sich in herrschaftsbezogener Sicht
zwar in unterschiedlichen räumlichen und z.T. zeitlichen Kontexten ausformen,
in einem neuen Licht, das für die Kontextualisierung habsburgischer Herr
schaftslogiken in postkolonialen Sichtweisen erhellend sein kann.
Trotz des unzweifelhaft verlockenden Versuchs, postkoloniale Perspektiven,
wie sie in den Postcolonial Studies entwickelt worden sind, auch auf genuin
»außer koloniale« Kontexte wie die Habsburgermonarchie anzuwenden, sind
auch jene Argumente anzuführen, die solchen Perspektiven kritisch gegenüber
stehen. Die symbolischen Formen von Herrschaft können vor allem deshalb nur
limitiert auf die Kolonialismusdebatte angewandt werden, da vor allem geogra
fische und auch kulturelle Distanzen, die das Herrschaftsverhältnis innerhalb
von Kolonialmächten besonders ausweisen, im Falle der Habsburgermonarchie
nicht in »kolonialen« Dimensionen vorhanden sind. Clemens Ruthners diesbe
züglicher Kritik an der Übertragung der Kolonialismus Metapher auf die Mon
archie ist dabei insofern zu folgen, als er zu Recht auf die genannten Distanzen
hinweist und gleichzeitig die Problematik der Anwendung des Gegensatzpaares
Zentrum Peripherie als weitere Charakteristik des Verhältnisses von Kolonie
Kolonialmacht ins Treffen führt, das unter anderem aufgrund der unterschied
lichen wirtschaftlichen Entwicklungen in den Kronländern bzw. im österreichi
schen Kernland nur schwer anzuwenden sei : So könne etwa Galizien sehr wohl
als »arme Peripherie« gelten, jedoch hätte Böhmen in ökonomischer Hinsicht
höhere wirtschaftliche Standards aufzuweisen gehabt als das »Zentrum« ; außer
dem hätte es, im Unterschied zum klassischen Kolonialismus, mehrere Metro
polen gegeben (Ruthner 2003).4
Aus historischer Perspektive wäre neben den genannten Fragen auch auf
andere konstitutive Elemente kolonialer Herrschaftsnahme einzugehen ; bei
4 Damit verweist er auf die grundsätzliche Problematik der Denkfiguren »Zentrum« und »Peri
pherie«, auf die hier jedoch nicht weiter eingegangen werden kann. Vgl. dazu im habsburgischen
Kontext im Detail Hárs/Müller Funk/Reber/Ruthner (2005).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437