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Die Verortung der »habsburgischen Kultur« 33
Die heute weithin sicht und wahrnehmbaren Prozesse der Hybridisierung (und
ihre weitgehende Anerkennung) können demgegenüber als Ergebnis eines ge
steigerten Bewusstseins in Verbindung mit massiven Veränderungen in sozialen
und ökonomischen Strukturen interpretiert werden. Demnach sind die die je
weilige Situation bedingenden Machtverhältnisse, die zur Determinierung von
Deutungen und auch zur Bestimmung der Selektionsmechanismen innerhalb
von kulturellen Übersetzungsprozessen beitragen, jeweils im Detail zu unter
suchen.
Vor diesem Hintergrund erscheint es aufschlussreich, die Wirkung hybrider
Prozesse im Kontext der Habsburgermonarchie zu untersuchen, wo vor allem
das Moment der Migration für die Herausbildung solcher Prozesse ausschlag
gebend ist. Migration fand auf verschiedenen Ebenen statt : Zum einen waren
es DienstbotInnen oder Handwerker, die auf der Suche nach Arbeit zumeist in
die Metropolen abwanderten, andererseits waren auch Beamte, die von einem
Teil der Monarchie in einen anderen versetzt wurden, bedeutende Träger von
Transferprozessen, aber auch Heeresangehörige sind im weiteren Sinn unter das
Migrationsphänomen zu subsumieren. Jüngere Ansätze der habsburgrelevanten
Migrationsforschung fordern einen differenzierteren Blick auf das Phänomen
der Migration und verweisen vor allem auf die Vielfalt räumlicher Bewegun
gen, wie etwa binnenregionale Mobilität oder saisonale zirkuläre Wanderungen ;
auch Rückwanderungen müsse vermehrte Aufmerksamkeit geschenkt werden
(vgl. v.a. Steidl 2008). So habe es weniger einen kontinuierlichen Zuzug von
Menschen aus ländlichen Gebieten in die größeren Städte gegeben als vielmehr
ein »Kommen und Gehen«.
Wie in anderen geografischen Räumen sind auch in den habsburgischen
Kulturen literarische, philosophische, religiöse u.a. Diskurse von Dezentrierung
betroffen, da durch die Polyglossie immer auch mehrere, je nach jeweiliger Ver
kon notiert ist, kann doch Hybridität nicht aus dem ursprünglichen Dualismus des Eigenen und
Anderen befreien. Fisher schlägt als Gegenkonzept den Begriff des Synkretismus vor, der zu
lässt, dass es »zwischen disparaten Komponenten keine simple Übersetzung, sondern ein Element
der Unübersetzbarkeit gibt, das selbst ein potenzieller Raum produktiver Erneuerung ist« (Fisher
1997 : 84). Vgl. zur Unterscheidung zwischen »Synkretismus« und »Hybridisierung« auch Gar
cía Canclini, der letzterer Bezeichnung eher den Vorrang gibt, da »Synkretismus« zumeist mit
der Vermischung verschiedener Religionen oder traditioneller symbolischer Bewegungen assozi
iert werde (García Canclini 1990 : 14f.). Thomas Wägenbaur wiederum argumentiert, dass durch
das Konzept der Hybridität zwischen Eigenem und Fremdem nicht mehr unterschieden werden
könne, was soviel bedeute, dass sich jede Art von Kulturkonflikt erübrige ; dies führe zum episte
mologischen Problem einer »Hybridität der Hybridität« (vgl. Wägenbaur 1996 : 34).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437