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Das Konzept der »kulturellen Übersetzung« 47
als provisorisch und un eindeutig erkannt und lassen Raum für – freilich kon
textabhängige – Mehrfachkodierungen und Neuinterpretationen. Daraus ergibt
sich ein Set von translationsstrategischen Folgewirkungen, die unterschiedliche
Diskurse durch die Übersetzung nicht auflösen, sondern kulturelle Differenzen
gelten und multiple Sichtweisen zum Tragen kommen lassen. Im Zuge dieser
Strategien kommen die permanenten Umdeutungsprozesse, die jedem Überset
zungsvorgang zugrunde liegen, zum Vorschein, und es werden die zeitlich und
räumlich gebundenen dynamischen Konstruktionen von Bedeutungszuschrei
bungen durch Übersetzung aufgedeckt.19
Worin besteht nun das kulturkonstruierende Potenzial des translatorischen
Phänomens ? Dem bhabhaschen Kulturkonzept folgend, sind Kulturen jeweils
dann als Konstruktionen auszumachen, wenn ihnen im Rahmen der kulturellen
Begegnung qua Auseinandersetzung und in Abhängigkeit von ideologischen
oder wirtschaftlichen Faktoren das Moment des – zumeist von konfliktgelade
nen Beziehungen gekennzeichneten – Aushandelns eingeschrieben ist. Dieses
Moment des Aushandelns ist umso relevanter, als es sich um ein von Hybridität
gezeichnetes Kulturkonzept handelt und die Kulturen, zwischen denen über
setzt wird, demnach bereits kontaminiert sind :
The way we imagine translation is changed by the fact that the worlds which it
seeks to bridge are already to some extent informed by plurality, are already satu
rated with a logic of translation. (Simon 1997 : 475, Hervorh. i. O.)
Besonders deutlich ist dies an postkolonialer Literatur zu erkennen, in der plu
rikulturelle Welten durch stilistische Brüche, Tropen und Neologismen reprä
sentiert werden, wie etwa an dem Beispiel von Aimé Césaire (Martinique) er
sichtlich ist :
Césaire still sends readers to dictionaries in several tongues, to encyclopedias, to
botanical reference works, histories, and atlases. […] He makes readers confront
19 Die Verbindung zwischen Kultur und Übersetzung wurde in den vergangenen Jahren wieder
holt auch von Doris Bachmann Medick diskutiert : Sie geht davon aus, dass der Ort, an dem
die »Überlappung von Kulturen« erfolgt, bereits durch die Durchdringungsprozesse als Ort der
Übersetzung bezeichnet werden könne, was wiederum impliziere, dass Kultur in sich selbst bereits
Übersetzung sei (vgl. Bachmann Medick 1997 : 16 oder auch 2009 : 2). In einer solchen Sicht
stellt sich jedoch die Frage, ob »Übersetzung« hier nicht überstrapaziert und die unaufhörliche
und permanente Übersetzung ein für alle Mal festgeschrieben wird.
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437