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56 K.(u.)k. »going postcolonial«
lichsten an dem ihm zugrunde liegenden Kulturbegriff festzumachen, der von
der klaren Unterscheidbarkeit in sich homogener kultureller Entitäten ausgeht
und hybride Befindlichkeiten ausschließt. Im Weiteren ist in dem Konzept der
Multikulturalität der Anspruch auszumachen, über ein verhältnismäßig hohes
Potenzial an Konfliktlösungs und Verständigungsstrategien zu verfügen, was in
Anbetracht der machtvollen Beziehungen in solchen kulturellen Bezügen zwar
durchaus als positives Kriterium aufzufassen ist, doch gerade aufgrund seines
starren Kulturkonzepts, das langfristig die erarbeiteten Lösungsstrategien nicht
zu integrieren verspricht, zum Scheitern verurteilt zu sein scheint.25
Andererseits bietet sich das Konzept der »Interkulturalität« an. Für Maletzke
werden als »interkulturell« »alle Beziehungen verstanden, in denen die Beteilig
ten nicht ausschließlich auf ihre eigenen Kodes, Konventionen, Einstellungen
und Verhaltensformen zurückgreifen, sondern in denen andere Kodes, Kon
ventionen, Einstellungen und Alltagsverhaltensweisen erfahren werden« (Ma
letzke 1996 : 37). Die im weitesten Sinn zur translatorischen Praxis zählende
Zwei bzw. Mehrsprachigkeit und in diesem Rahmen auch die Kommunikation
von Tauschkindern in der Habsburgermonarchie könnte durchaus zu einem sol
cherart verstandenen Interkulturalitätskonzept gezählt werden, doch ignoriert
dieses Konzept weitgehend die vielfachen Konfliktsituationen, die aus solchen
Begegnungen entstehen und blendet damit einen bedeutenden Faktor jeglicher
Kommunikation aus.
Der Begriff der »Interkulturalität« scheint sich vor allem in der »interkultu
rellen Germanistik« durchgesetzt zu haben. Alois Wierlacher betont, dass die
Verwendung des Terminus über die abstrakte Beschreibung der Kommunikation
zwischen Kulturen hinausgeht und »ein geschärftes Eigenkulturbewusstsein«
(Wierlacher 2003 : 258) voraussetzt. Interkulturalität scheint in dieser Hinsicht
auch Verständniswille und gleichberechtigte PartnerInnenschaft zu implizieren :
Der Ausdruck Interkulturalität bezeichnet in einem vertieften Sinne den Zustand
und Prozess der Überwindung von Ethnozentrismus durch wechselseitige »Ab
hebung« (Scheiffle 1985), die eine kulturelle Brückenstellung oder eine »doppelte
Optik« schafft, Andere und Fremde ebenso wie Alternativen nicht nur stärker als
bislang mitdenken, sondern bis zu einem gewissen Grad auch mit anderen Augen
wahrnehmen lässt, so dass ein Miteinander Begreifen überhaupt erst denkbar und
die Voraussetzung für einen Dialog geschaffen wird, bei dem niemand von vornhe
rein das letzte Wort hat […]. (Ibid.: 259, Hervorh. i. O.)
25 Vgl. weitere Details zum Begriff des »Multikulturalismus« in Kapitel 3.
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437