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Der Versuch einer Übersetzungstypologie 57
Der hier zum Ausdruck gebrachte verdienstvolle Anspruch, das Konzept der
Interkulturalität als Brückenschlag zwischen Kulturen zu begreifen und die am
dialogisch ausgerichteten Verstehens und Handelsprozesses Beteiligten in ei
nem egalitären Kommunikationsverhältnis zu sehen, vernachlässigt jedoch die
aus jedem Kulturkontakt entstehenden, in welchem Ausmaß auch immer sich
manifestierenden Machtverhältnisse. Dies dürfte nicht zuletzt einer der Gründe
dafür sein, warum sich gerade dieses Konzept in Teilbereichen interkultureller
Wirtschaftskommunikation und interkultureller Managementforschung etab
liert hat, täuscht es doch vor, a priori von symmetrischen kulturellen Beziehun
gen auszugehen.
Der Begriff der Interkulturalität kann sich auch der Unterstellung, von ei
nem homogen konzipierten Kulturbegriff auszugehen, nicht ganz entziehen.
Wierlacher weist im Rahmen der Diskussion seines Interkulturalitätkonzepts
auf kulturelle Überschneidungsbereiche hin und sieht kulturelle Unterschiede
nicht mehr nur als »Gegensätze, die es aufzulösen gilt […], sondern auch als
Bedingung der Möglichkeiten von Vernetzung, Überlappung, Verschachtelun
gen oder Voraussetzungen einer profilierten Kooperation« (ibid.: 261). Einem
solchen Verflechtungsmoment ist zwar wiederum aufgrund seines Anspruchs,
eine »profilierte Kooperation« auszulösen, der Aspekt des »Aushandelns« im
plizit eingeschrieben, doch offensichtlich wird auch im Rahmen dieses Aspekts
von Interkulturalität jegliches Manipulationspotenzial bzw. werden die allen
kulturellen Gegensätzen per definitionem inhärenten machtvollen Beziehun
gen ausgeklammert oder zumindest vermindert in Betracht gezogen. Insgesamt
jedoch steht dieser Anspruch an die Leistung von Interkulturalität in Wider
spruch zu dem »Eigenkulturbewusstsein«, das wenig zuvor postuliert wird und
die Existenz von einander gegenüberstehender »eigener« und »fremder« Kultur
voraussetzt und damit Substanzialismus betreibt.
Unter diesen Voraussetzungen erscheint »Polykulturalität« als relativ neutra
ler oder zumindest nicht abgenutzter Begriff. Er impliziert eher das zwischen
kulturelle Spannungsgeschehen, die interaktiven Momente kulturellen Aus
tauschs und fokussiert, wie die Übersetzerin Susanne Weingarten im Kontext
postkolonialer Literatur aufzeigt, auf die Kreuzungen, Doppeldeutungen und
Bedeutungsverschiebungen, die sich durch kulturelle Überlagerungen ergeben
(Weingarten 1994 : 169). Als »polykulturelle Kommunikation« werden vor die
sem Hintergrund im Rahmen der Habsburgermonarchie jene Verständigungs
techniken bezeichnet, die von uns mit den Begriffen »habitualisiertes Überset
zen« bzw. (zum Teil) »institutionalisiertes Übersetzen« belegt werden. Im Detail
handelt es sich um jene Bereiche, in denen Zwei und Mehrsprachigkeit in
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437