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64 Das habsburgische Babylon
Darin mag auch der Grund dafür liegen, dass multikulturelle Verhaltenserwar
tung eine »Beziehungsfalle« darstellt : Es ist nicht möglich, gleichzeitig zu as
similieren und die Identität zu erhalten, ebenso wie es nicht möglich ist, sich
gleichzeitig zu bereichern und den anderen dabei alles zu belassen, wie Dieter
Lenzen im Kontext machtbezogener Fragestellungen zum »Fremden« treffend
bemerkt (Lenzen 1991 : 148). Die Anerkennung des multikulturellen Merk
mals von Gesellschaften wie jene der Habsburgermonarchie impliziert demnach
die Notwendigkeit, das Konzept des kulturell Anderen im Kontext asymmetri
scher Kräfteverhältnisse der beteiligten Kulturen zu berücksichtigen. Spätestens
durch die Migrationsthematik, die bestehende kulturelle Konzeptionen auf den
Prüfstand stellte und letztendlich die »Exotik des Multikulturalismus« (Bhabha
2000 : 58) demaskierte, rückt die Idee von multikultureller Toleranz ins Zent
rum sowohl kulturwissenschaftlicher als auch spezifisch politischer Debatten.
Es stellt sich die Frage, ob die »hautnahe« Auseinandersetzung mit dem An
deren, wie sie auch im Gefolge der verschiedenen Arten von Migration in der
Habsburgermonarchie praktiziert wurde und zur Mythenbildung multikulturel
len Toleranzverhaltens beitrug, nicht das Gegenteil von gegenseitiger Toleranz
implizierte, werden doch gerade im Gefolge dieser vielfältigen Auseinanderset
zungen Konstruktionen des Anderen vorgenommen, die – nicht zuletzt durch
bestimmte gesetzliche Regelungen verfestigt – eine vordergründige Erlaubnis
zum Anderssein dekretieren. Der Verdacht liegt nahe, dass diese Erlaubnis zum
Anderssein in der Philosophie des Multikulturalismus zwar das Eingeständnis
der Differenz, aber gleichzeitig auch die Verweigerung der Gleichheit bedeutet.
Es kann daher nicht geleugnet werden, dass das im Konzept des Multikultura
lismus angelegte Recht auf Alterität und Differenz noch nicht das eigentliche
Grundrecht der Egalität gewährt : »Die Logik des Multikulturalismus überwin
det leider nicht die Dialektik von Inklusion und Exklusion« (Weibel 1997 :12).
Wird jedoch das Eingeständnis der Differenz im Kontext der Erkenntnis ge
sehen, dass Differenz nie etwas »Natürliches« ist, sondern das Produkt sozialer
Konstruktionen, mit deren Hilfe symbolische und territoriale Grenzen über
haupt erst gezogen werden, werden auch die in diese Prozesse involvierten Sub
jekte als etwas nicht Fixierbares und Festschreibbares angesehen. Kultur wird
damit nicht mehr als Ab und Ausgrenzungsmedium betrachtet, sondern dient
der Grenzüberschreitung, die »multikulturelle Gesellschaften« überhaupt erst
möglich macht (vgl. Marko 2000 : 19).
Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis des im Rahmen des Monumentalwerks
Die Habsburgermonarchie 1848–1918 erschienenen zweiteiligen Bandes Die Völ-
ker des Reichs (Wandruszka/Urbanitsch 1980 : V–X) verschafft ein erstes Bild
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437