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76 Das habsburgische Babylon
Tschechisch auch in den deutschen Landesteilen Böhmens als »landesübliche
Sprache« anerkannt.
Die Stremayrschen Sprachenverordnungen hatten jedoch die Frage des in
neren Amtsverkehrs nicht gelöst, und die innere Dienstsprache war weiterhin
Deutsch. Das sollte sich mit den Badenischen Sprachenverordnungen (1897)
ändern, die jene Stremayrs außer Kraft setzten. Die Verordnungen von Minister
präsident Badeni sollten die deutsch tschechischen Gegensätze befrieden, führ
ten jedoch zu einer der schwersten Staatskrisen der Monarchie. Mit § 7 wurde
festgelegt, dass die tschechische Sprache als Sprache des inneren Dienstes fortan
»im ganzen Umfange« der Länder Böhmen und Mähren gleichberechtigt ne
ben die deutsche gestellt werde. Daran entzündeten sich die heftigsten Angriffe
(nicht nur) der deutschen Böhmen gegen die Regierung. Verschärft wurden sie
durch die Verordnung, jeder Beamte, der nach dem 1. Juli 1901 angestellt werde,
müsse die Kenntnis beider Landessprachen in Wort und Schrift bei der für den
betreffenden Dienstzweig vorgeschriebenen praktischen Prüfungen nachweisen.
Nach wochenlangen Protesten in Gemeinden und Bezirken, Massendemonstra
tionen und Zeitungsquerelen und schließlich einer Obstruktion des Parlaments
durch die Deutschen wurde das Parlament geschlossen, Badeni musste in der
Folge zurücktreten (Hugelmann 1934 : 177ff., vgl. auch Sutter 1960).
Der Nachfolger Badenis Paul Gautsch (1898) nahm die Verordnung Bade
nis im Punkt der inneren Amtssprache insofern zurück, als er bestimmte, dass
die Amtssprache der Behörden jene Landessprache zu sein habe, zu der sich
die Bevölkerung des jeweiligen Amtsbezirks nach dem Ergebnis der jeweiligen
Volkszählung als Umgangssprache bekennt ; die sprachliche Qualifikation der
Beamten hingegen wurde dahingehend geregelt, dass die Besetzung der einzel
nen Dienststellen lediglich nach Maßgabe des tatsächlichen Bedarfs erfolgen
und diese Qualifikation auch schon in der Ausschreibung berücksichtigt werden
sollte (Hugelmann 1934 : 191ff.). Nach langen Auseinandersetzungen wurde
Graf Clary vom Kaiser mit dem Auftrag zum Ministerpräsidenten ernannt, die
strittigen Badenischen Verordnungen aufzuheben und punkto Sprachenverord
nungen den Status quo vor Badenis Zeit wieder herzustellen (1899). Damit
hatten die Deutschen den Sieg davon getragen, die Tschechen fühlten sich ein
mal mehr benachteiligt, zumal – im Vergleich – in Galizien seit 1869 Polnisch
als innere Dienstsprache anerkannt war und 1909 in Dalmatien Serbokroatisch
als ausschließliche Sprache des inneren Amtsverkehrs eingeführt werden sollte.
Bis zum Ende der Monarchie sollte sich der Zustand des Sprachenrechts nicht
mehr grundlegend ändern. Zahlreiche Vermittlungs und Schlichtungsversuche
im Reichsrat blieben erfolglos. Vielleicht hätte der 1913 vom Landesschulrat
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437