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104 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie
Während manche AkteurInnen regulativ und mit dem impliziten Anspruch auf
Normierung die statische Komponente von Kultur vertreten, agieren andere im
Spektrum ihrer aus lebensweltlichen Verflechtungen und aus dem Zusammen
spiel kultureller Kontaktzonen resultierenden hybriden Befindlichkeit. Gerade
durch ihr Wechselspiel tragen sie zur Konstruktion der vielschichtigen Ausfor
mungen von Kultur in der Habsburgermonarchie bei. Die Rolle verschiedener
Translationsprozesse und ihrer Kontextualisierungen – im Unterricht, im Heer,
in der Verwaltung und Gesetzgebung, in der Ausbildung von Dragomanen –
erscheint für die These der Konstruiertheit von Kulturen durch Übersetzung
besonders relevant.
Das »Sprachenzwangsverbot« im Unterricht
Die sprachliche Handhabe im Schulwesen wurde bereits im Rahmen der Dis
kussion ethnischer und sprachlicher Gleichberechtigung in der Monarchie aus
geführt und soll hier nur im Hinblick auf ihre Funktion im Kontext des »insti
tutionellen Übersetzens« kurz umrissen werden. Sie nimmt hier allerdings nur
eine marginale Rolle ein, da Übersetzen in der Schule nur im übertragenen Sinn
und zwar über den kontinuierlichen Codewechsel, den LehrerInnen und Schü
lerInnen in vielfachen Situationen vornehmen, praktiziert wurde. Dennoch kann
diese Form des Übersetzens nicht als »habitualisiertes Übersetzen« gelten, da es
durch gesetzliche Regelungen bestimmt war. Der Artikel 19 (RGBl. 142/1867)
hatte in Absatz drei das sogenannte »Sprachenzwangsverbot« festgelegt :
In den Ländern, in welchen mehrere Volksstämme wohnen, sollen die öffentlichen
Unterrichtsanstalten derart eingerichtet sein, daß ohne Anwendung eines Zwan
ges zur Erlernung einer zweiten Landessprache jeder dieser Volksstämme die er
forderlichen Mittel zur Ausbildung in seiner Sprache erhält.
Wie Stourzh (1980 : 1125) ausführt, war dieser Passus ursprünglich von
deutsch böhmischen Abgeordneten eingefordert worden, die damit auf die Ab
schaffung des obligaten Tschechischunterrichts an den deutschen Gymnasien
Böhmens und Mährens abzuzielen versuchten. Die Folgen dieses Passus waren
weitreichend : In wenigen Jahren wurde in Durchführung dieser Bestimmun
gen die verstärkte Tendenz zur institutionellen Zweisprachigkeit, die sich in
manchen Ländern durchzusetzen begann, wieder rückgängig gemacht.92 So
92 Vgl. zu weiteren Details Burger (1995 : 39ff.).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437