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»Polykulturelle Kommunikation« 115
BeamtInnen Sprachprüfungen für alle Ressorts eingeführt. Spätestens gegen
Ende des Jahrhunderts wurde auch die BeamtInnenschaft vom Nationalitäten
streit massiv erfasst,109 und die sprachliche Qualifikation der BeamtInnen wurde
zum Instrument und damit zum Machtmittel der stärkeren oder schwächeren
Beteiligung einzelner Nationalitäten an der Bürokratie des Reiches. Gezielte
Versetzungen vermochten dem Problem nicht immer Einhalt zu gebieten. Eine
der Maßnahmen, um diesem Phänomen gegenzusteuern, waren verschiedene
Artikel in der Beamtenzeitung zwischen 1890 und 1900, die zur »Wiederbele
bung« eines übernationalen, österreichisch gesinnten BeamtInnentums beitra
gen sollten (Megner 1985 : 277). Trotzdem waren die gesetzesmäßigen und zum
Großteil nicht mehr im Einzelnen rekonstruierbaren persönlichen Bemühun
gen um eine Bewältigung der immensen Anforderungen an eine professionelle
Mehrsprachigkeit nicht ohne Früchte geblieben, wie etwa die Erfolge der nicht
deutschen Sprachen im sogenannten »äußeren Geschäftsbereich«, also im direk
ten Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern, beweisen.
Ein kurzes Beispiel aus Dalmatien soll den Werdegang bzw. den Alltag eines
mehrsprachigen Beamten illustrieren. Die im Staatsarchiv von Dubrovnik er
haltene Autobiografie des pensionierten Richters Antonio Martecchini (1906)
zeugt von der komplexen sprachlichen Situation (auch) im südlichsten Teil der
Monarchie. Antonio (1832–1913) war Sohn des Verlegers und Druckers Pier
Francesco Martecchini,110 dessen Eltern am Ende des 18. Jahrhunderts aus Ve
nedig zugewandert waren, und Maria Stulli. Die gesamte Familie (Martecchini
und Stulli) war italienischer Abstammung, und doch erzählt Antonio, als Vier
jähriger seinen aus Venedig eingewanderten Großvater auf Serbokroatisch um
ein Stück Fisch gebeten zu haben : »Nonno, da mi ribice« (Martecchini 1906 : 2).
Ein weiteres Zeugnis dafür, dass in der Familie offensichtlich eher Serbokroa
109 Aus dieser Zeit liegen jedoch ebenso Berichte vor, die die gesetzlich angestrebte Gleichberech
tigungspolitik auch in der Vergabe von Beamtenposten belegen. So traten im Jahr 1910 13 junge
Beamte aus verschiedenen Kronländern ihren Dienst im Finanzministerium an, wobei vor allem
die ethnische Herkunft der Beamten in Verbindung mit dem jeweiligen Kronland berücksichtigt
wurde : Vertreten waren dabei Deutsche aus Böhmen und Mähren, Polen aus Galizien, Italiener aus
Tirol und Dalmatien, usw. (vgl. Kleinwaechter 1948, zit. nach Schimetschek 1984 : 210f.). Jedoch
räumt auch Schimetschek (1984 : 212) ein, dass mit »der zunehmenden Verschärfung des Spra
chenstreits […] die Kraft der Assimilation an die österreichische Staatsgesinnung immer geringer
[wurde]«. Zum Verhältnis der verschiedenen Nationen in der Zusammensetzung der Beamten im
Ministerium des Äußern bzw. zur dementsprechenden Ämterbesetzung vgl. Sieder (1969 : 61ff.).
110 Wie aus verschiedenen Bibliothekskatalogen hervorgeht, verlegte Pier Francesco Martecchini
Bücher sowohl in italienischer als auch in serbokroatischer Sprache.
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437