Seite - 123 - in Die vielsprachige Seele Kakaniens - Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Bild der Seite - 123 -
Text der Seite - 123 -
»Polykulturelle Translation« 123
schen Bezirke Rann sowohl die slovenische wie die deutsche Sprache üblich sind
und im Hinblicke auf die staatsgrundgesetzlich gewährleistete Gleichberechti
gung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben die
Gemeinden nicht berechtigt sind, die Annahme und meritorische Erledigung
von Erlässen und Zuschriften, welche in einer der landesüblichen Sprachen ab
gefaßt sind zu verweigern […]« (AVA, 3, Karton 327, Zl. 10407/92).122
Ein ähnlicher Streitfall lag in der Gemeinde Sachsenfeld (Žalec) bei Cilli
(Celje) im Jahr 1895 vor, wo sich der Gemeindevorsteher weigerte, der Kinder
gärtnerin Emma Fartschnigg einen Heimatschein in deutscher Sprache auszu
stellen. Frau Fartschnigg brachte das Argument vor, dass ihr ein Heimatschein
in slowenischer Sprache »in den deutschen Ländern der Monarchie« abträglich
sei ; ihre Beschwerde wurde von der Statthalterei Graz positiv erledigt. Die Ge
meinde weigerte sich jedoch weiterhin, den Heimatschein in deutscher Sprache
bzw. deutscher Übersetzung auszuhändigen und merkte an, dass in der Markt
gemeinde die slowenische Sprache die einzige Amtssprache sei. Dem nachfol
genden Entscheid des Landesgerichts Graz ist zu entnehmen, dass unter Beru
fung auf Artikel 19 der Heimatschein in deutscher Sprache (bzw. Übersetzung)
auszufolgen sei, da in der Steiermark sowohl Slowenisch als auch Deutsch Lan
dessprachen seien (AVA, 3, Karton 327, Zl. 11005/95).
Ein weiterer Problembereich in der Verwendung landesüblicher Sprachen
ist in der Frage der Stellung von Rekruten zum k. u. k. Heer zu finden. Wie
einer parlamentarischen Interpellation vom 23. Mai 1901 zu entnehmen ist,
kam es in verschiedenen Ortschaften der steirischen Bezirkshauptmannschaft
Ljutomer (Luttenberg) wiederholt zu Konflikten, da stellungspflichtige junge
Männer die Aufforderung zur Stellung lediglich in deutscher Ausfertigung er
halten hatten. Der Intervention eines Landtagsabgeordneten bei der Bezirks
hauptmannschaft wurde mit dem Argument entgegnet, dass eine Zusendung in
slowenischer Sprache nicht möglich sei, da die Bezirkshauptmannschaft nicht
über derlei Formulare in slowenischer Übersetzung verfüge (AVA, 3, Karton 51,
Zl. 20488/01). Ein ähnlicher, ebenfalls in einer Interpellation an das Abgeord
netenhaus dokumentierter Fall (15. April 1902) ist aus der Bezirkshauptmann
schaft Koper/Capodistria bekannt, die an die slowenischsprachige Gemeinde
Dolina die Einladung für die Militärstellungspflichtigen in italienischer Spra
che übersendet hatte. Die Gemeinde ergriff daraufhin von selbst die Initiative
122 Siehe zu weiteren Streitfällen dieser und ähnlicher Art die Akten des Verwaltungsarchivs Wien.
Zum deutsch slowenischen Nationalitätenkonflikt liegen zahlreiche Publikationen vor ; vgl. etwa
Moll (2007).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437