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»Polykulturelle Translation« 163
bildung, und auch ein Schriftsteller findet sich unter den Redakteuren. Nur zwei
Redakteure scheinen eine translatorische Praxis aufzuweisen, die sie außerhalb
des Redaktionsbureaus erworben hatten, allerdings weisen die Listen beeideter
Dolmetscher einige der Namen der Übersetzer des Redaktionsbureaus auf (für
die Sprachen Italienisch, Kroatisch, Rumänisch und Ruthenisch). Das Profil
der beamteten Übersetzer des Reichsgesetzblattes entspricht damit der bis weit
in das 20. Jahrhundert gängigen Praxis, sachlicher Kompetenz vor translatori
scher Kompetenz den Vorrang zu geben, auch wenn gerade die Übersetzung der
Gesetze und Verordnungen des Reichsgesetzblattes eindeutige juridische Qua
lifikationen vordringlich notwendig machten. Die sprachlichen (nicht sprach
mittlerischen !) Fähigkeiten wurden, wie aufgezeigt, erst zu einem sehr späten
Zeitpunkt thematisiert bzw. problematisiert.
Auch die schwierigsten Aufnahmebedingungen für Redakteure konnten
keine Garantie für völlig fehlerfreies Arbeiten sein. In den Akten finden sich
zahlreiche Belege für Beschwerden vonseiten der Behörden, die verschiedene
Übersetzungsmängel beanstanden. So stellt etwa das k.k. Finanzministerium in
einem Schreiben vom 13. Februar 1911 fest, dass es in der italienischen Über
setzung der Nachträge zu den Erläuterungen zum Zolltarif durch die unter
schiedliche Länge des deutschen und italienischen Textes zu Divergenzen in der
Zitierung der Absätze und Zeilen komme, auch seien manche zolltechnische
Ausdrücke unklar, was die Handhabung des Zolltarifs beeinträchtigen könne.
Der zuständige Beamte schlägt vor, dass die Übersetzung von einem »sprachlich
und fachlich qualifiziertem Organ der zollämtlichen Praxis einer Ueberprüfung
unterzogen« werde (AVA, 40/1, Karton 2788, Zl. 64332/10) ; ob dieser Vorschlag
tatsächlich aufgegriffen wurde, konnte nicht festgestellt werden. Ebenfalls auf
die Arbeit des italienischen Translators bezieht sich eine Beschwerde vom 1.
Dezember 1911 aus dem Handelsministerium : Durch einen Übersetzungsfeh
ler komme es zu Widersprüchen in der Ausführung des Ladenschlusses von
Handelsgewerben. Der deutsche Text ermächtigt die politische Landesbehörde
zur Anordnung, dass Geschäfte »zu einer späteren als der 5. Morgenstunde zu
erfolgen habe«, während aus dem italienischen Text hervorgeht, dass die Laden
öffnung spätestens eine Stunde nach fünf Uhr zu erfolgen habe ; diese Divergenz
habe bereits zu unliebsamen Konsequenzen geführt (AVA, 40/1, Karton 2788,
Zl. 32357/911). Auch wurden Übersetzungen in das Slowenische beanstandet,
wie etwa das Gesetz vom 5. Februar 1907, von dem der Genossenschaftsins
truktur für Krain und Küstenland ein Verzeichnis mit Gesetzesstellen vorliegt,
die die Widersprüche zwischen der deutschen und der slowenischen Ausgabe
belegen (ibid.: Zl. 22451/910). In den meisten Fällen blieb es bei einer Mittei
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437