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Theoretischer Aufriss eines habsburgischen »Übersetzungsraumes« 197
weilige Position der einzelnen AkteurInnen oder AkteurInnengruppen im Feld
ihre soziale Stellung im Zusammentreffen ihres Habitus und des Einsatzes ihrer
eigenen Kapitalien bestimmt, wobei sowohl der Umfang als auch die Zusam
mensetzung dieser Kapitalien eine besondere Rolle spielen. Kapital und Habitus
werden damit zu zentralen Erkenntnisinstrumenten.
Bourdieu greift auf den Kapitalbegriff von Marx zurück, überträgt ihn jedoch
auf alle gesellschaftlichen Bereiche mit der Absicht, die Gesellschaft als akku
mulierte Geschichte zu begreifen (Bourdieu 1997c : 49). Der Struktur und dem
Funktionieren der Gesellschaft kann somit nur entsprochen werden, wenn der
Begriff des Kapitals in allen seinen Erscheinungsformen eingeführt und nicht
auf seine Verwendung in der Wirtschaftstheorie reduziert wird. Die bedeu
tendste Form des Kapitals stellt, zumindest für die über einen ausdifferenzier
ten, selbstregulierenden Markt verfügenden Gesellschaften, das ökonomische
Kapital dar, das »unmittelbar und direkt in Geld konvertierbar« ist (ibid.: 52)
und dem unter den Kapitalformen erwartungsgemäß eine maßgebende Stellung
zugeschrieben ist. Von Bourdieus zentraler These ausgehend, dass in den postin
dustriellen westlichen Gesellschaften nicht (mehr) so sehr Klassenzugehörigkeit
ausschlaggebend für die Reproduktion von Macht ist, sondern Dimensionen wie
Kultur, Bildung und Geschmack, gewinnen kulturelle, soziale und symbolische
Kapitalformen an Gewicht. Das kulturelle Kapital drückt sich in Bildungstiteln
und im Besitz von Kulturgütern aus und tritt vorrangig in Kombination mit an
deren Kapitalformen auf, vor allem mit sozialem und symbolischem Kapital. Für
das Phänomen der Übersetzung ist das sprachliche Kapital als eine Sonderform
des Kulturkapitals von besonderem Interesse. Das sprachliche Kapital ist die
»Macht über die Mechanismen der Preisbildung für sprachliche Produkte, die
Macht, die Preisbildungsgesetze zum eigenen Profit ausschlagen zu lassen und
den spezifischen Mehrwert abzuschöpfen« (Bourdieu 1993 : 118). Demnach ist
jeder Interaktionsakt gewissermaßen ein »Mikro Markt«,181 der immer von den
globalen Strukturen beherrscht bleibt. Auf den sprachlichen Markt bezogen be
deutet das, dass die dort zirkulierenden Diskurse ihren Wert erst im Verhältnis
zu einem Markt bekommen und dieser Wert demnach von der Fähigkeit der
involvierten sozialen AkteurInnen abhängt, sich in dem Machtverhältnis, das
auf dem Markt besteht, durchzusetzen (Bourdieu 1990 : 46). Im Kontext der
Arbeit von ÜbersetzerInnen muss somit davon ausgegangen werden, dass die
181 Vgl. zur Problematik des Markt Begriffes Schwengel (1993 : 142), der eine stärkere Betonung
des wechselseitigen modellierenden und konstruierenden Prozesses zwischen den Subjekten des
Marktes und den gegebenen Ressourcen einfordert.
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437