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200 Theoretischer Aufriss eines habsburgischen »Übersetzungsraumes«
die sozialisationstheoretische Komponente des Konzepts zu schwach ausgeprägt
sei und später einsetzende Lernprozesse zu wenig berücksichtige (Schwengel
1993 : 146) bzw. dass gerade durch die Überbetonung der Primärsozialisation
eine problematische Analogie zwischen dem Psychischen und Sozialen vorge
nommen werde, die erstens nicht ausreichend thematisiert werde und zweitens
eine Einheit des Psychischen fingiere, die spätestens seit der Fragmentierungs
theorie von Simmel nicht mehr gelte (Bohn 1991 : 140). Dieser Einwand ist für
den übersetzerischen Habitus im Kontext der Generierung der sozialen Praxis
der ÜbersetzerInnen geltend zu machen, die durch die Bedingungen des jewei
ligen Arbeitsfeldes stark geprägt ist und auch auf dieses wiederum rückwirkt ;
doch ist auch hier auf die starke Fragmentiertheit der verschiedenen situativen
Konstellationen zu verweisen, die die Ausprägung des übersetzerischen Habitus
zusätzlich beeinflusst.
Das Postulat, dass der Habitus an den Tätigkeiten, die aus ihm hervorgehen,
erkannt und dementsprechend der Habitus einer Person bzw. eines Kollektivs
an deren bzw. dessen Handlungen rekonstruiert werden kann (vgl. Krais/Ge
bauer 2002 : 26), ist für den Prozess des Übersetzens von besonderem Inter
esse, da dadurch vor allem die Interaktion zwischen (Übersetzungs )Textanalyse
und gesellschaftlicher Analyse nachgezeichnet werden kann. So können etwa
die Kriterien für gewisse Übersetzungsentscheidungen mit dem Habitus von
Übersetzern oder Übersetzerinnen an bestimmten historischen Zeitpunkten
korreliert werden, und es kann beispielweise erklärt werden, warum in einem
bestimmten Raum Zeitverhältnis bestimmte Übersetzungsstrategien ange
wandt wurden, die den übersetzten Text etwa als Textproduktion und nicht
Re Produktion ansehen und ihn als das Resultat eines intensiven Aushand
lungsprozesses erkennen lassen. Das heißt, es kann festgestellt werden, welche
Voraussetzungen vorliegen müssen, die ein »Aushandeln« eher ermöglichen als
andere Voraussetzungen. Daran ist erkennbar, dass der übersetzerische Habitus
nicht nur aus praktischem Handeln hervorgeht, sondern auch Werte bilden und
an Handeln gebundenes Wissen erzeugen kann (ibid.: 30), was seinen konstru
ierenden Charakter freilegt und das Potenzial für die manipulative Komponente
des Übersetzens erschließt.
Auf den Übersetzungsprozess bezogen lässt die Diskussion der Theorie der
symbolischen Güter einmal mehr die machtvollen Beziehungen erkennen, in
denen Übersetzung konstituiert wird. Im Zuge der Erarbeitung translations
soziologischer Grundlagen gilt es, die sozialen Implikationen des Überset
zungsprozesses freizulegen und in ein komplexes Modell zur Erfassung ihrer
von ideologischen, politischen und ökonomischen Faktoren geprägten Beschaf
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437