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Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von Positionierungskämpfen 211
dass ÜbersetzerInnen über multiple Einnahmequellen verfügten, die zum Teil
mit der Tätigkeit des Übersetzens eng verbunden waren. Zwei Beispiele wären
hier zu nennen : zum einen Paul Gustav Rheinhardt (Pseudonym : Paul Rein
hardt), 1853–1934, der, um die Existenz seiner Familie zu sichern, ein kleines
Übersetzungsbüro gründete und als Redakteur für verschiedene Wiener Zeitun
gen und Zeitschriften sowie auch als Schriftsteller arbeitete. 1902 redigierte er
den ersten Band des Deutsch-österreichischen Künstler- und Schriftsteller-Lexikons
(Österreichisches Literaturarchiv 2003), in dem auch ein Inserat seines Überset
zungsbüros aufscheint (Rheinhardt 1902 : 527).189 Ein anderes Beispiel ist Alois
Sebera (geb. 1827), der ebenso als Redakteur zahlreicher Zeitschriften tätig war,
darunter im Botschafter sowie im Deutschen Volksblatt in Wien. Seit Anfang der
Neunzigerjahre des 19. Jahrhunderts war er Besitzer eines behördlich konzes
sionierten Übersetzungsbüros und eines sogenannten »literarischen Bureaus«,
in dem Prologe, Epiloge, ernste und heitere Vorträge in Versen und Prosa und
Gelegenheitsdichtungen aller Art angefertigt wurden (Brümmer [1913] : 388).
Diese Interaktion zwischen verschiedenen literarischen bzw. übersetzerischen
Praktiken (aus den Inseraten von Sebera, die in den Jahren 1893 bis 1899 auf
scheinen, geht keine Spezifizierung eines bestimmten Fachgebietes hervor ; auch
bietet er – unspezifisch – Übersetzungen in »allen Sprachen« an) führte zwei
felsohne zu einer gewissen Dynamik im Vermittlungsraum, die als eine Vor
aussetzung für seine Struktur angesehen werden kann. Es ist somit erkennbar,
dass die Einzelpersonen und auch die Übersetzungsbüros auf unterschiedliche
Weise die Beschaffenheit des »Feldes« privater Übersetzung mitbestimmen und
andererseits durch seine Logik bestimmt sind.
Trotz der Unterschiede in den Gründen für die Autonomisierung des litera
rischen »Übersetzungsfeldes« und des hier – vorläufig – als »Vermittlungsraum
des privaten Sektors« zu bezeichnenden »Feldes« sind ähnliche Funktionswei
sen im Autonomisierungsprozess selbst festzustellen, da nun Legitimation und
Beurteilung der erbrachten Leistungen in beiden »(Sub)Feldern« nicht mehr
von religiösen und politischen Mächten abhängig sind, sondern von Marktver
hältnissen, in denen je nach Beschaffenheit des jeweiligen »Feldes« unterschied
liche Kräfte sein Funktionieren bestimmen. Für die Strukturierung der jeweili
189 Dem Inserat ist zu entnehmen, dass Rheinhardt weit mehr als Übersetzungsarbeiten anbot und
sich vielmehr auf literarische Redaktionsarbeit konzentrierte : Ȇbersetzungs
Bureau Reinhardt für
alle Sprachen, gegründet 1882, besorgt jede Art literarischer Arbeiten : Opern und Operettentexte,
dramatische Werke, Feuilletons, Gelegenheits Dichtungen, Festspiele, Prologe, Festreden, Lieder
texte, Correctur von Manuscripten etc. etc. in allen Sprachen, unter strengster Discretion«.
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437