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224 Der »Nutzen fürs geistige Leben« : Übersetzungspolitik in der Habsburgermonarchie
u.a.m. sowie belletristische und literaturwissenschaftliche Zeitschriften subven
tioniert wurden.195
Die relativ geringen Mittel, die für Literaturförderung (und Kulturförderung
insgesamt) aufgewendet wurden, sind im Spannungsverhältnis zwischen dem
bereits zeitgenössisch gehuldigten hohen Stellenwert von Literatur und Kunst
vor allem in der Metropole Wien einerseits und der in weiten Teilen der Mon
archie mangelhaften Präsenz von »Kulturpflege« (war doch die AnalphabetIn
nenrate in den Provinzen besonders hoch und kulturelle Institutionen jedweder
Art auf städtische Zentren beschränkt) andererseits zu sehen. Im Unterschied
zum Kunstsektor im engeren Sinn ist laut Heerde der literarische Sektor »ohne
Zweifel jene Kunstgattung […], die am wenigsten zur Verständigung der nati
onalen Gruppen beitrug« (Heerde 1993 : 183). Die Übersetzungstätigkeit zwi
schen den Sprachen der einzelnen Nationalitäten der Monarchie widerspricht
dieser Feststellung in verschiedenen Punkten, was im Kontext mit Heerdes
zweiter diesbezüglicher Behauptung, dass nämlich »[d]as Nationalitätenprob
lem […] auch einer der Gründe für die relativ beschränkte Förderung der Li
teratur« gewesen sei, (Heerde 1994 : 95) noch deutlicher wird. Die hier aufge
stellten Behauptungen sind in aller Detailliertheit schwer nachzuweisen und
müssten anhand weitreichender Studien zum Leseverhalten der einzelnen Na
tionalitäten der Habsburgermonarchie und seiner sozialen und politischen Ge
bundenheit bzw. mit Hilfe detaillierter Rezeptionsstudien belegt werden, treffen
jedoch auf die sogenannte »hohe Literatur« mit großer Wahrscheinlichkeit zu,
die ja – wie auch im Deutschen – nur von einer Elite gelesen wurde und dadurch
an Breitenwirkung mangelte. Wie jedoch die im folgenden Abschnitt erarbei
teten Übersetzungsstatistiken zeigen, ist vor allem die Produktion belletristi
scher Literatur, die zu weiten Teilen aus »Unterhaltungsliteratur« bestand, aber
auch die Zahl an Lyrik und Bühnenwerken in Original und Übersetzung im
Untersuchungszeitraum außerordentlich hoch (vgl. vor allem in den Sprachen
Bosnisch Kroatisch Serbisch, Ungarisch und Polnisch bzw. deren Übersetzun
gen, zu denen besonders gut recherchierte Daten vorliegen), was – zumindest
für bestimmte Publikumsschichten – sehr wohl auf eine gegenseitige Wahr
nehmung der literarischen Produktion schließen lässt. Deshalb trifft Heerdes
195 In seiner Untersuchung zur Kulturpolitik der Stadt Wien in den Jahren 1848–1916 stellt Karigl
fest, dass die (allgemeine) Kulturpolitik der Gemeinde Wien, verglichen mit der Bedeutung der
Stadt auf diesem Sektor, gering war. Kulturelle Ereignisse wurden überwiegend von privaten Ko
mitees initiiert, und was gefördert wurde, stand zumeist mit zu erwartenden Profiten für Handel
und Wirtschaft in Zusammenhang (Karigl 1981 : 179).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437