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Literaturpreise 229
zu haben, und nach verschiedenen beißenden Zeitungskommentaren forderte
die k.k. niederösterreichische Statthalterei das Kuratorium auf, unter Vorlage
eines Protokolls »die Vorgänge hinsichtlich der letzten Preisverleihung einge
hend darzustellen« (Rauscher 1937 : 91). Im Zuge der Polemik wurden gegen
Trebitsch seine stark kritisierten Shaw Übersetzungen ins Treffen geführt, was
deutlich den Zusammenhang zwischen der Position des Preisträgers als Schrift
steller und seiner Stellung als Übersetzer und Vermittler von Literatur im litera
rischen Feld erkennen lässt. Die Polemik erscheint umso virulenter, als die Aus
einandersetzung um die Preisverleihung an Siegfried Trebitsch deutlich zeigt, in
welch fortgeschrittenem Stadium des Legitimationsprozesses – nach der Verlei
hung des Preises – die Wirkung von Machtbeziehungen, im vorliegenden Kon
text in Form von politischer Intervention und Druck durch das Massenmedium
Zeitung, das Prestige des Schriftstellers zu beeinträchtigen vermögen.
Auch in diesem Konflikt meldete sich Karl Kraus zu Wort. Er stellte Trebitsch
zunächst ein schlechtes Zeugnis als Übersetzer aus : »Daß Trebitsch schlecht
übersetzt, haben wir gewußt« (Kraus 1912 : 59, Hervorh.v.mir). Damit appelliert
er an das offensichtlich in literarischen Kreisen bekannte Wissen um die man
gelnde Qualität der trebitschschen Übersetzungen und stellt damit gleichzeitig
dieses Wissen in direkten Zusammenhang zur eben erfolgten Verleihung des re
nommierten literarischen Bauernfeldpreises, was wiederum im Kontext der Po
sitionierung im literarischen Feld das Prestige des Preisträgers schwächt und sei
ner Position abträglich ist. Zwischen dieser Minderung in der Anerkennung von
Trebitschs symbolischem Kapital und dem im Feld wirkenden kulturellen und
symbolischen Kapital der Preisrichter stellt Kraus gleich anschließend eine Ver
bindung dar : »Es ist nämlich dank der Freiheit und Gewissenlosigkeit der […]
Wiener Literaturhändler möglich, daß einer [Siegfried Trebitsch] den Kurswert
eines modernen Novellisten erlangt […]« (ibid.: 60). Dieser Fingerzeig auf die
machtvollen Machenschaften im Literaturbetrieb, die Karl Kraus in vielfachen
Kontexten nicht müde wird zu denunzieren, spiegelt einmal mehr den Kampf
um die Legitimation im Feld und die Auswirkungen der jeweiligen Investitionen
vonseiten relevanter Akteure wider. Wie kurzlebig die Wirkung von Literatur
und anderen Preisen als zeremonielle Weihform des (literarischen) Kulturlebens
sein kann, beweist gerade der Bauernfeldpreis, den zahlreiche SchriftstellerInnen
verliehen bekamen, die heute in der Vergessenheit versunken sind.199
199 »Der Bauernfeld Stiftung bleibt es vorbehalten, mit unbeirrbarer Beharrlichkeit Schriftsteller
dritten bis dreizehnten Ranges auf den Schild zu heben«, so ein zeitgenössischer Zeitungskom
mentar (Hoffmann 1917 : 5).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437