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Österreichisch-italienische Wahrnehmungen 273
einzurichten (Ricaldone 1986 : 142). Kaffeehäuser waren nicht nur elegante Orte
der Geselligkeit, sondern nach 1848 vor allem Treffpunkt politisch interessierter
Männer und Frauen bzw. Literaten und Literatinnen. »Als fester Wohnsitz und
ständige Adresse der Literaten, als Treffpunkt und Unterhaltungsstätte, als lite
rarische Tischgemeinschaft und traulicher Zufluchtsort, ist das Kaffeehaus eine
der typischsten Wiener Einrichtungen«, sagt Claudio Magris, und weist dem
Kaffeehaus damit den zentralen Charakter des »mitteleuopäischen Mythos« zu,
der dort, bei der »Verherrlichung der entspannten, klassisch ruhigen Stunden
an bequemen Tischen, beim Lesen der Zeitungen und dem Knüpfen friedlicher
menschlicher Beziehungen« (Magris 2000/1966 : 224) am längsten überlebt. Im
Café fand man auch sämtliche Tageszeitungen vor, die oftmals die Grundlage für
heftige Debatten unter den KaffeehausbesucherInnen bildeten, und für manche
Stammgäste war das Kaffeehaus auch der Ort, wo sie ihre Post erledigen oder
ihre Wäsche in Empfang nehmen konnten (vgl. Johnston 1974 : 132). Besonders
im 19. Jahrhundert »avancierte« das Café zum »Literatencafé«, trefflich geschil
dert von Hilde Spiel : »Hier fanden Männer des Geistes ihre wahre Wohnstatt
in einer zweiten Realität, einer Welt des gedruckten Wortes und in den Wind
gesprochenen Meisterwerkes, einem Bereich mit eigenem Moralgesetz und einer
klassenlosen Gesellschaft« (Spiel 1971 : 128).
Die im engeren Sinn intellektuellen Austauschbeziehungen zwischen dem
deutsch und italienischsprachigen Raum nehmen die hier kurz dargestellten
jahrhundertelangen und sich mehr oder minder durch alle sozialen Schichten
ziehenden Kulturkontakte als Grundlage und werden als unmittelbare Vor
aussetzung für die Entstehung und Rezeption von Übersetzungen aus dem
Italienischen ins Deutsche angesehen. Im Detail handelt es sich dabei um die
italienischsprachige Buchproduktion, italienische Verlage in Wien, die italie
nischsprachigen Buchbestände der Leihbibliotheken, die heikle italienisch ös
terreichische Universitätenfrage und die gegenseitige literarische Wahrnehmung.
Auf die Rolle der italienischen Sprache, die für die Einstellung von Beamten im
habsburgischen Verwaltungsdienst in den italienischsprachigen Gebieten Vor
aussetzung war, braucht in diesem Kontext nicht gesondert hingewiesen zu wer
den ; auch wurde nicht zuletzt in Hinblick auf die Sprachen der eigenen Territo
rien bis zum Ende der Monarchie die polyglotte Tradition des Habsburgerhofes
hochgehalten. Prestigeträchtigen Sprachen wie Italienisch, Französisch und Spa
nisch wurde dabei freilich eindeutig der Vorrang gegeben (Goebl 1997 : 107).
Die italienischsprachige Buchproduktion in der Monarchie spricht zur Frage
der Bedeutung italienischer intellektueller Präsenz eine deutliche Sprache, wie
Tabelle 18 zeigt.
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437