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Die Metamorphosen des »Übersetzungsfeldes« 323
spricht. Auch in anderen Vorworten, die nicht explizit auf den Treuegrundsatz
eingehen, wird diese Sicht vertreten, wenn etwa im Rahmen einer Entschuldi
gungsgeste behauptet wird, die Übersetzung bleibe hinter dem Original zurück
(18q, 588, 75) bzw. durch die Übersetzung gingen »die Vorzüge des Originals
verloren« (871, vgl. auch 661). Der Rechtfertigungsdiskurs, der sich in dem Be
mühen äußert, im Bekanntheitsgrad des Originals oder seines Autors eine Er
klärung für das »bescheidene Unterfangen« der Übersetzung zu finden (282a),
ist ebenso ein weiteres Indiz für eine hierarchisierte Sichtweise des Übersetzens
wie der Verteidigungsdiskurs, der durch die Bitte »um Nachsicht für die Schwä
chen der Übersetzung« (1053, 1069a) oder »um nachsichtige Beurteilung« (958)
zum Ausdruck kommt.
Interessanter unter dem Gesichtspunkt der Methodendiskussion erscheinen
jene Vorworte, die in mehr oder weniger expliziter Form ein Bekenntnis des
Treuebruchs ablegen. Dabei ist festzuhalten, dass die unter diese Kategorie fal
lenden Vorworte keiner bestimmten Textsorte zuzuordnen sind, und von epi
scher Dichtung oder Libretto über Reisebericht und Komödie bis zum Fachtext
reichen.265 Nicht ganz vom Treueparadigma gelöst, doch richtungweisend äu
ßert sich der Dante Übersetzer B. Carneri, der bei seiner Arbeit bestrebt war,
»durch Vermeidung einer sklavischen Worttreue, die Verdeutschung über das
Niveau einer blossen Uebersetzung zu erheben, auf den Sinn das Hauptgewicht
zu legen, und nach Möglichkeit […] den Ton des Originals zu treffen« (18ah).
Über eine solche – eigentlich noch dem Rechtfertigungsdiskurs zuzurechnen
den – Argumentation gehen andere Vorworte hinaus, wenn sie, wie Siegfried
Lederer im Vorwort seiner Übersetzung der Komödie Das Geheimnis des Herrn
Marchese (508a) von Paolo Ferrari (1885) die Notwendigkeit hervorheben, »den
heimischen Verhältnissen durch unterschiedliche Modificationen gebührend
Rechnung zu tragen«.
Das in verschiedenen Vorworten mehr oder weniger bewusst geäußerte Be
kenntnis zum Treuebruch manifestiert sich in weiterer Folge in einem selbstbe
wussten translatorischen Handeln, das vorrangig durch eine klare Argumentation
für die vorgenommenen Übersetzungsstrategien zum Ausdruck kommt (vgl. 417,
854). Dieses selbstbewusste Handeln muss, wie einige Beispiele zeigen, nicht
265 Unter diese Kategorie fallen auch jene Vorworte lyrischer Texte, in deren Zentrum das Thema
des Versmaßes steht. Zur Sprache gebracht wird die Umwandlung des Verses in Prosa (18an,
344), die Vereinfachung der Verse (30, 871) und die Konzentration auf weibliche oder männliche
Reime (318d, 872b). Alle diese Beispiele sind von einem mehr oder weniger ausgeprägten Recht
fertigungsdiskurs für diese Strategie gekennzeichnet.
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437