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366 Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen
und mehr zu verlieren begann« eine neue Qualität erfahren. Das dem Beamten
Schneider eingeschriebene und durch eine solche »gefestigte Weltanschauung«
gekennzeichnete Ordnungsprinzip lebt in trautem Einklang mit einer sprach-
lichen Situation, die in der Kurzgeschichte als »chaotisch« beschrieben wird :
»Von mehreren Sprachen hatte er je ein Stückchen Mensch, von keiner einen
ganzen Menschen erhalten – aber dieses Chaos war seine Heimat«.291 Das hier
beschriebene hybride Subjekt ist für die Habsburgermonarchie insofern kons-
titutiv, als es sich in unterschiedlichen Ausformungen und differenten Kontex-
tualisierungen durch alle soziale Schichten und kulturelle Gruppierungen zog
– so gesehen ist die Monarchie als Gebilde aus vielen »Stückchen Mensch«
vorstellbar, die durch komplexe Übersetzungsprozesse ihren Alltag zu meistern
suchten und nicht zuletzt dadurch das plurikulturelle Geflecht des Vielvölker-
staates ausmachten.
Modell : Der Kommunikationsraum Habsburgermonarchie
Unter den hier skizzierten Voraussetzungen wird die Habsburgermonarchie als
hybride Welt konzipiert, in der und mit der kontinuierlich Interaktionsprozesse
stattfinden. Das nachstehende Modell sucht die Komplexität der Bezugsmög-
lichkeiten und Kommunikationszusammenhänge zu erfassen und schematisch
darzustellen. Wie sich zeigt, sind vier große Bereiche poly- bzw. transkultureller
Kontextualisierungen freizulegen, die voneinander nicht abgrenzbar sind und
stets miteinander interagieren. Zunächst handelt es sich um den komplexen
plurilingualen und plurikulturellen Kommunikationsraum der Habsburgermo-
narchie, einen »polytheistischen Raum« (Lyotard 1977, zit. nach Strutz 1992 :
331),292 der durch ethnische und sprachlich-kulturelle Dichte gekennzeichnet
ist. In diesem Raum dominieren Prozesse, die auf kontinuierlichen Austausch-
bewegungen zwischen den verschiedenen ethnischen und sprachlichen Grup-
pierungen quer durch alle sozialen Schichten beruhen, was diesen Prozessen
auch in besonderem Maß eine Alltagsbezogenheit verleiht. In den Territorien
des »polykulturellen Translationsraumes« und des »exogenen kulturellen Fel-
des« findet die Schaffung jener kulturellen Produkte statt, die zum einen aus
der Interaktion von Elementen innerhalb der Monarchie resultieren und zum
291 Sogar die nüchterne Österreichische Statistik spricht im Rahmen der Volkszählung von »unge-
mein verwickelten sprachlichen Verhältnissen« (Österreichische Statistik 1912 : 58*).
292 Vgl. zum Begriff »gelebter Kommunikationsraum« im Kontext der »Räumlichkeit der sprach-
lichen Kommunikation« Krefeld (2004 : 19ff.).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437