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370 Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen
gesprochenen Sprachen »werfen selbst dort keine gravierenden Probleme auf,
wo sie neben öffentlichen Sprachen bestehen, da jede ihren eigenen Raum ein-
nimmt, wie jedes Kind weiß, wenn es von der den Eltern gegenüber üblichen
zu einer gegenüber Freunden oder Lehrern angemessenen Sprache wechselt«
(Hobsbawm 1996 : 135). Der Wechsel zwischen den Sprachen/Kulturen wird
somit in der Habsburgermonarchie zur Konvention.
Ein kurzer Blick auf den Kommunikationsalltag in der Monarchie zeigt,
dass vor allem zwei weitgehend als zwischen mehreren Sprachen stattfindende
Arten von »Übersetzen« verortbar sind. Zunächst handelt es sich um eine Art
des Übersetzens, ohne die die Bewältigung alltäglicher Kommunikationsfra-
gen nicht denkbar ist und die in der vorliegenden Arbeit als »habitualisiertes
Übersetzen« bezeichnet wird. Unter »habitualisiertem« Übersetzen wird die
ungefragt erfolgende alltägliche Kommunikationsleistung in der Habsburger-
monarchie verstanden, die unter anderem von DienstbotInnen, Handwerkern,
Kutschern, Ammen, Schenkenbetreibern u.a.m. erbracht wurde. Auch Misch-
ehen, wie jene des kakanischen Beamten Schneider, sind für das habitualisierte
Übersetzen repräsentativ. Diese tendenziell in stark asymmetrischen Bezie-
hungen zu verortende Form des Übersetzens ist zumeist einseitig zielkulturell
und in sozialer Hinsicht von unten nach oben ausgerichtet. Die umgekehrte
Transferleistung ist eher der Ausnahmefall, doch sind auch Fälle dokumentiert,
in denen etwa Kinder der Dienstgeberfamilie die Sprache der Dienstmädchen
zumindest ansatzweise und bruchstückhaft erlernten. »Habitualisiertes Über-
setzen« bildete die Kommunikationsgrundlage weiter Teile der Bevölkerung der
Habsburgermonarchie.
Eine zweite Form des Übersetzens wird als »institutionalisiertes Übersetzen«
bezeichnet. Die mit zunehmender Demokratisierung einhergehende und für die
Monarchie im Allgemeinen charakteristische Dichte der Verwaltung erforderte
einen differenzierten Umgang mit den Sprachen der Monarchie in Angelegen-
heiten des Unterrichtswesens, des Heeres, vor Gericht u.v.m. Die hier geübte
Praxis war in der Regel durch Gesetze geregelt (vgl. Fischel 1910) ; es sei noch-
mals auf den Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes verwiesen, der die Grundlage
für eine – mehr oder weniger im Alltag respektierte – Serie von Bestimmungen
und Verordnungen bildete, die die Mehrsprachigkeit im öffentlichen Bereich
zu regeln suchte. Deshalb ist diese sich in mannigfaltiger Ausformung zeigende
Art der Übersetzung auch als »institutionalisiertes Übersetzen« zu benennen.
Diese Bezeichnung erscheint umso plausibler, je stärker jene Maßnahmen im
Rahmen dieses Dachkonzepts berücksichtigt werden, die der Staat zur Erler-
nung der jeweils anderen »Landessprachen« ergriff, um seiner polyglotten Tra-
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Untertitel
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Autor
- Michaela Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 442
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437