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1. Einleitung
30 Das Marginalisierte in den Fokus rücken : Mit dieser Arbeit soll in den Mittelpunkt rü-
cken , was sonst nur am Rande und in den Fußnoten Erwähnung findet. Somit baut diese
Untersuchung durchaus auf früheren , verstreuten Arbeiten zur hier interessierenden The-
matik auf. Sie geht über diese jedoch hinaus , insofern sie diese zusammenführt und sie
ohne Umwege aus der Perspektive der Praktischen Philosophie untersucht. Einiges vom
in dieser Untersuchung Enthaltenen wurde schon anderswo angemerkt. Es stand jedoch
nie im Zentrum und wurde selten ausführlich untersucht. Aus dieser Perspektive der übli-
chen Untersuchungen zum Wiener Kreis , deren Bezugspunkte Wissenschaftstheorie und
Wissenschaftsgeschichte , allenfalls noch die Erkenntnistheorie , darstellen , bilden die zen-
tralen Themen der vorliegenden Untersuchung nur einen Nebenschauplatz oder werden
auf ( Partei- )Politik verkürzt. Ich werde beim bereits Erarbeiteten ansetzen , dieses jedoch
wesentlich ergänzen und in einigen Hinsichten auch korrigieren. Vor allem die fehlende
Zusammenschau , die Einschränkung der Perspektive auf Wissenschaftstheorie oder ein-
zelne Mitglieder sowie wirkmächtige verzerrende Sekundärquellen wie Ayers Language ,
Truth and Logic führten bislang zu einem falschen Bild. Hinsichtlich anderer Problemge-
biete des Logischen Empirismus und des Wiener Kreises ist die Korrektur des vorherr-
schenden Bildes seit mehreren Jahrzehnten im Gange. Hier soll dies nun auch für die Fra-
gen von Ethik und Moral ausführlich geschehen.
Einbettung in philosophische , intellektuelle , kulturelle und soziale Kontexte : Moral und
Ethik des Wiener Kreises sind eng mit anderen philosophischen , intellektuellen , kul-
turellen und sozialen Strömungen der damaligen Zeit verwoben. Moral und Ethik sol-
len aus diesem Kontext heraus verstanden werden. „Kontext“ meint hier keine zufällige ,
lediglich historisch gegebene Nachbarschaft , die dem Denken äußerlich geblieben ist ,
sondern einen gedanklichen Kontext , der auf die Werke der hier besprochenen Philoso-
phen Einfluss ausübte. Es geht in der vorliegenden Untersuchung deshalb auch um eine
Einordnung der ethischen und moralischen Positionen der Mitglieder des Wiener Krei-
ses in die österreichische Philosophie- und Geistesgeschichte , jedoch nicht nur. Philo-
sophische , intellektuelle , kulturelle und soziale Bewegungen und Strömungen machten
weder an den Grenzen Österreichs der Zwischenkriegszeit noch an jenen der Habsbur-
germonarchie halt. Es werden sich einige Strömungen als prägend und einflussreich her-
ausstellen , die kaum als österreichische bezeichnet werden können. Ich werde die Moral
und Ethik des Wiener Kreises deshalb nicht nur als Episode einer österreichischen Phi-
losophie behandeln. Im Konzept einer österreichischen Philosophie , das vor allem ab den
1980er-Jahren von Haller entwickelt wurde , wird u. a. der große Einfluss der Philosophie
Johann Friedrich Herbarts nach der Universitätsreform von 1848 hervorgehoben , die in
Opposition zu Kant und dem Deutschen Idealismus Empirismus und Realismus vertei-
digte. Diese Opposition sei auch für das Werk Bernard Bolzanos charakteristisch , der als
erster Repräsentant einer distinktiven österreichischen Philosophie gesehen wird. ( Hal-
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441