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2.3 Metaethik
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Individuums zum Ausdruck gebracht werden , so handelt es sich um einen individualis-
tischen Expressivismus. Geht es um den Ausdruck von Haltungen einer Gemeinschaft , so
kann von einem gemeinschaftlichen Expressivismus gesprochen werden.39
Vom Expressivismus werde ich den Emotivismus als eine Variante des Expressivismus
folgendermaĂźen unterscheiden :
These des reinen Emotivismus : Moralische Ausdrücke und Sätze haben ausschließlich
emotive Bedeutung , d. h. , sie dienen ausschlieĂźlich dazu , GefĂĽhle zum Ausdruck zu brin-
gen. Der Ausdruck „Emotivismus“ wird jedoch häufig in einem umfassenderen Sinne ver-
wendet , worauf bei den jeweiligen Texten zu achten sein wird.
Neben Deskriptivismus und Expressivismus spielen Positionen des Präskriptivismus
eine wichtige Rolle :
These des reinen Präskriptivismus : Moralische Ausdrücke und Sätze haben ausschließ-
lich präskriptive , d. h. auffordernde Bedeutung. Unter „auffordern“ fallen „befiehlt“, „rät“,
„schlägt vor“, „bittet um“, „wünscht ( im auffordernden Sinne )“ und dergleichen.
Hier können sich Varianten nicht nur dahingehend unterscheiden , wer auffordert ( in-
dividualistischer oder gemeinschaftlicher Präskriptivismus ), sondern auch dahingehend , wer
aufgefordert wird :
These des partikularistischen Präskriptivismus : Moralische Sätze richten sich als Auffor-
derungen an eine begrenzte Anzahl von Menschen.
These des universellen Präskriptivismus : Moralische Sätze richten sich als Aufforderun-
gen an alle Menschen.
Eine weitere sprachphilosophische Unterscheidung bezieht sich darauf , ob moralische
Sätze Träger von Wahrheitswerten oder diskursfähig sein können. Obwohl die Bedeutun-
gen von moralischen Ausdrücken und Sätzen darin eine Rolle spielen , bezieht sich diese
Unterscheidung auf einen anderen Aspekt. In der Sprachphilosophie der Moral werden
die Kategorien „Kognitivismus“ und „Nonkognitivismus“ in dieser Hinsicht als seman-
tische Kategorien verstanden , wobei diese jeweils in einem engeren und weiteren Sinne
aufgefasst werden können.
These des engen semantischen Kognitivismus : Moralische Sätze sind Träger der Wahr-
heitswerte wahr / falsch im ĂĽblichen Sinne.
Diese Position ist naheliegend , da oberflächlich viele moralische Sätze dieselbe Form
wie deskriptive Sätze aufweisen. Sie treten in Form prädikativer Sätze auf , in denen be-
stimmten Gegenständen ein moralisches Prädikat zu- oder abgesprochen wird. In vielen
Moralen ist es ĂĽblich , davon zu reden , eine bestimmte Handlung sei moralisch schlecht
oder gut oder eine bestimmte Charaktereigenschaft sei tugend- oder lasterhaft. Zumin-
dest oberflächlich werden hier wie in ( anderen ) deskriptiven Sätzen moralische Eigen-
schaften zugeschrieben. ( Vgl. auch Scarano 2002 , 28 ) Ein Deskriptivist wird also auch ein
39 Komplexe Versionen des Expressivismus werden von Simon Blackburn 1984 und 1998 oder Allan Gib-
bard 1990 und 2006 vertreten.
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale MoralbegrĂĽndung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 MoralbegrĂĽndung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 MoralbegrĂĽndung auf Grundlage natĂĽrlicher Ziele : Rationale MoralbegrĂĽndung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische MoralbegrĂĽndung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und BĂĽrgerinnen oder BĂĽrger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukĂĽnftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- AbkĂĽrzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441