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8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral
258 8.2.3.2 Pragmatische Bedeutungstheorie und Metaethik
Frank rückt den Logischen Empirismus ( er spricht von logischem Empirizismus ) eng an
Pragmatismus , Operationalismus und Semantik heran. Allen diesen Bewegungen sei da-
ran gelegen , Mehrdeutigkeiten auszumerzen und Kriterien aufzustellen , „mittels derer
sich klar zwischen einem ‚sinnvollen Gespräch‘ und ‚leerem Gerede‘ unterscheiden läßt“
( Frank 1950 [ 1952 , 23 ]).
Einzelne Wörter oder Sätze könnten keinen direkten faktischen Sinn haben , sondern
sie hätten nur indirekt einen Sinn , wenn sie sich dazu eignen , Teile eines sinnvollen Sys-
tems oder einer solchen Lehre zu sein. Man solle immer fragen , ob das System , in dem
die Wörter oder Behauptungen vorkommen , sinnvoll sei. Sinnvoll sei ein System , wenn
aus ihm durch logische Deduktion Behauptungen abgeleitet werden könnten , die durch
unsere Erfahrung nachgeprüft werden können. ( Frank 1950 [ 1952 , 32 f. ])
Dies sei auch entscheidend , wenn es um die Bedeutung von Wörtern und Behauptun-
gen geht , die in der Ethik ( wohl Moral und Ethik ; A. S. ), Politik oder Religion gebraucht
werden. ( Frank 1950 [ 1952 , 32 ]) Mit hochtönenden Wörtern wie „Freiheit“ oder „Demo-
kratie“ würden Tyrannei und Grausamkeit verteidigt. Deshalb sei es gerade hier besonders
wichtig , jene , die diese Ausdrücke verwenden , zu fragen : „Was ist der Sinn dieser schö-
nen Worte ?“ Wir sollten sie auffordern
– wie es in der Umgangssprache heißt
– vernünf-
tig zu reden. Wir möchten mit einer solchen Aufforderung erfahren , „was die Sätze , die
diese Worte enthalten , in Ausdrücken menschlichen Handelns , menschlichen Verhaltens
und
– oft auch
– menschlichen Leidens bedeuten“ ( Frank 1950 [ 1952 , 34 ]). Sie sollen sich
„pragmatisch“, „operationalistisch“ oder „semantisch“ ausdrücken. Frank ist überzeugt ,
dass eine Zuhörerschaft , die mit diesen Bedeutungstheorien vertraut ist , nicht so leicht
verderblicher Propaganda zum Opfer fällt. „Idealistische“ Bedeutungstheorien führten
hingegen häufig zu einer „Vergötterung von Worten und Schlagworten“ und seien wenig
um das Leiden bekümmert , das sie den Menschen zufügten. ( Frank 1950 [ 1952 , 35 ]) Jeder
Schritt zu mehr Liberalismus in Gesellschaft , Politik und Religion sei mit einer Weiter-
entwicklung der Semantik verknüpft gewesen , indem Schlagworte auf ihre Wirkung auf
das menschliche Verhalten , auf das Glück und Leid der Menschen untersucht wurden.
Die Wörter seien zunehmend nach der pragmatischen oder operationalistischen Auffas-
sung von Bedeutung interpretiert worden. ( Frank 1950 [ 1952 , 36 ])337
Deshalb könnten allgemeine Prinzipien als sinnvolle Grundsätze für das menschli-
che Verhalten nur beibehalten werden , wenn Ergänzungen hinzugefügt würden , die die
gleiche logische Rolle spielen wie die „relativierenden“ Zusätze in der Relativitätstheo-
rie und allgemein in der modernen Physik. ( Frank 1950 [ 1952 , 41 ]) Ohne solche Ergän-
337 Frank zieht für den engen Zusammenhang von pragmatischer Bedeutungsauffassung und Liberalis-
mus ein Beispiel aus dem Bereich der Religion heran ( wohl auf die vielen Theologen unter den Kon-
ferenzteilnehmern eingehend ). Wenn die Bekenntnisse des Christentums nicht am Leben geprüft
werden , werden diese auch von den schlimmsten Verbrechern akzeptiert. ( Frank 1950 [ 1952 , 37 ])
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441