Page - 378 - in Ethik und Moral im Wiener Kreis - Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Image of the Page - 378 -
Text of the Page - 378 -
10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung
378 Festsetzung des Moralbegriffs : Kraft bespricht nun ausdrücklich die Adäquatheitsbedin-
gungen seines Moralbegriffs , welcher nur durch eine Festsetzung gewonnen werden kön-
ne. Adäquatheitskriterien für die Festsetzung seien zum einen die bereits früher klargestellte
Forderung nach dem Einschluss aller moralischen Werte und Normen , die „zweifellos als mo-
ralische betrachtet werden“, und darüber hinaus , dass eine klare Abtrennung von Recht , Hy-
giene , Forderungen der Wirtschaftlichkeit etc. erfolge. ( Kraft 1968 , 93 ) Nach Krafts nunmeh-
rigem Moralverständnis unterscheide sich die Moral zum Beispiel vom Recht dadurch , dass
die Befolgung ihrer Normen auf Freiwilligkeit beruhe. Im Unterschied zur Hygiene oder For-
derungen der Wirtschaftlichkeit wiederum richteten sich die Normen der Moral an alle und
regelten das menschliche Verhalten zur Gänze , nicht nur spezielle Gebiete. ( Kraft 1968 , 94 )
Die Grundfrage einer Theorie der Moral lautet noch immer :
Wodurch wird der Inhalt moralischer Normen bestimmt ? Und warum soll jeder sie aner-
kennen ? ( Kraft 1968 , 104 )
Was eine Theorie der Moral zu leisten hat , sei die Aufstellung moralischer Normen und
die Begründung ihrer Allgemeingültigkeit. Normen könnten jedoch nicht allein aus der
Erkenntnis von Tatsachen abgeleitet werden ( Kraft verweist nun auf Feigls „Validation
and Vindication“ ). ( Kraft 1968 , 105 ) Sie könnten jedoch teleologisch auf der Grundla-
ge bestimmter Ziele und notwendiger Bedingungen für die Erreichung dieser Ziele be-
gründet werden. Er setzt also wieder auf die Zweck-Mittel-Argumentform allgemeiner
Handlungsrationalität :
Für die Aufstellung und die Gültigkeit einer Forderung als einer Anweisung für das Han-
deln bildet die Erkenntnis der Bedingung für die Erreichung der Absicht den Erkenntnis-
grund. ( Kraft 1968 , 109 )
Wahr oder falsch werden Forderungen damit aber nicht :
Daß eine Forderung besteht , d. i. daß sie sich aus der Bedingung für die Erreichung einer
Absicht ergibt , ist eine Erkenntnis. Die Forderung selbst ist keine Erkenntnis. Darum sind
Forderungen nicht wahr oder falsch. Aber sie können richtig oder unrichtig sein , je nach-
dem , ob sie aufgrund von Erkenntnis gestellt werden oder ob sie aus falschen Voraussetzun-
gen hervorgehen. ( Kraft 1968 , 109 )
Aber auch 1968 ist Kraft noch klar , dass so nur hypothetische Imperative begründet wer-
den können. Das Sollen gilt nur für den , der diese Absicht tatsächlich hat :
Wer den Zweck will , muß die Mittel wollen ; sonst kann er den Zweck nicht erreichen. ( Kraft
1968 , 110 )
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441