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11.2 Feigls Auffassung von Moral und Ethik
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Generally , no vindication will prove convincing unless it appeals to the needs , interests , or
aspirations of the individual concerned. ( Feigl 1950 [ 1981 , 259 ])
Menschen können jedoch unterschiedliche Ziele verfolgen. Der Ausweg , nur moralische
Ziele bzw. Zwecke zuzulassen , ist versperrt. Es bräuchte zur Bewertung wieder einen ge-
meinsamen Wertungsmaßstab und so ad infinitum. Es droht also ein unendlicher Regress.
( Feigl 1950 [ 1981 , 259 ])
Eine Dialogpartnerin oder ein Dialogpartner im Beitrag „Validation and Vindication“
argumentiert , menschliche Bedürfnisse und Interessen bildeten eine solide Basis für mo-
ralische Standards. In allen zivilisierten Kulturen würden dieselben Ideale der Kooperati-
on ( im Gegensatz zu Konflikt ), der Hilfeleistung ( im Gegensatz zum Schaden ), der Lie-
be ( im Gegensatz zum Hass ), der Gerechtigkeit ( im Gegensatz zu Ungleich heit ) sowie
der Perfektion und des Wachsens ( im Gegensatz zu Stagnation und Verfall ) gelten , und :
Human nature as it is constituted biologically and psychologically , and as it finds its exist-
ence in a context of interdependence with other human beings , could scarcely fail to develop
just those ideals of morality. ( Feigl 1952 [ 1981 , 380 ])
Der Dialogpartner oder die Dialogpartnerin findet dies angesichts der unterschiedlichen
tat sächlich vorhandenen Standards und Ideale nicht überzeugend. Auch Feigl selbst zeigt
sich 1952 skeptisch. Wir könnten kaum eine allgemeine Einstimmigkeit von Zwecken , die
eine Menge von einheitlichen Standards und eine rigide Prioritätenordnung unter ihnen
pragmatisch begründen würde , erwarten :
At this point , I must concede , that the relativism implicit in the emotivist analyses ( of Ste-
venson , for example ) may prove insuperable. ( Feigl 1952 [ 1981 , 388 ])
Es gebe nur Optimismus. Diesen Optimismus hat Feigl bis 1969 ausgebaut. Nun meint
er in „Ethics , Religion , and Scientific Humanism“, bestimmte mora lische Ideale ( Grund-
normen ) bildeten sich aufgrund einer gemeinsamen menschlichen Natur in bestimmten
sozialen Kontexten von selbst aus :
If we dig deeper into human nature we find that in some social contexts certain moral ide-
als inevitably work themselves out. [ … ] There is a golden mean that combines the valid ele-
ments of monism – i. e. , that ethical principles are universally applicable – with the empiri-
cism of relativism which teaches that human values are related to human nature. If you want
a label for this call it “scientific humanism”. ( Feigl 1969a [ 1981 , 418 ])
Aber welche Standards ?
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Subtitle
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Author
- Annemarie Siegetsleitner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Size
- 16.9 x 23.9 cm
- Pages
- 450
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441