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Grundlagen der Untersuchung 59
niert.69 Eine besonders einlÀssliche Auseinandersetzung in deutscher Spra-
che liefert Helmut Pfeiffers Aufsatz Politik und Gesellschaftsstruktur, dessen
EinwÀnde hier exemplarisch diskutiert werden sollen, zumal sie in ihrer
StoĂrichtung der interpretatorischen Tendenz zahlreicher neuerer Arbei-
ten zum Mann ohne Eigenschaften entsprechen. Pfeiffers kritische Muste-
rung von Bourdieus LektĂŒre der Ăducation sentimentale mĂŒndet in ein ver-
nichtendes Urteil : Die sozioanalytische âHermeneutik der Tiefeâ kĂ€mme
âFlauberts Roman gegen den Strich ihrer [?] impliziten Poetikâ, indem sie
âihm eine soziologische Diagnoseintentionâ zuschreibe, âdie ihm seine kri-
tische Leistung im Blick auf die Oppositionen der Geschichtsphilosophieâ
nehme. Bourdieus Sozioanalyse lasse âdamit zugleich jene EinwĂ€nde in
die Unsichtbarkeit verschwinden, die die Education sentimentale sozusagen
prospektiv dem politischen Roman des ausgehenden 19. und frĂŒhen 20.
Jahrhundertsâ eingeschrieben habe.70 Pfeiffer attestiert dem französischen
Soziologen ein â wenn auch grandioses â Scheitern an einem der groĂen
Romane der Weltliteratur, weil er hinter dessen radikal antigeschichtsphi-
losophische Diagnostik zurĂŒckfalle. Flaubert nĂ€mlich begreife Politik wie
Theologie als reine âDiskursphĂ€nomeneâ, âdie ihren RealitĂ€tsbezug, sei es
in erklĂ€rend-analytischer, sei es in pragmatischer Hinsicht, verlorenâ71 hĂ€t-
ten. Das âInteresse des Autorsâ â so heiĂt es ausdrĂŒcklich â ziele âgerade
auf die Nivellierung oder Dekonstruktion der Oppositionenâ, wodurch ein
Hiat zwischen den theoretischen Vorgaben der Analyse und ihrem literari-
schen Gegenstand entstehe : âDie Rhetorik der Opposition wie die dialekti-
sche Vermittlung der GegensÀtze stehen gegen ihre romaneske Entleerung,
die sie als Oppositionen kollabieren lĂ€Ăt.â Flaubert erscheint in dieser Op-
69 SĂ©ginger : Flaubert contre Flaubert, S. 90 f., unterstellt dem Soziologen âla volontĂ© de savoir qui
le conduit Ă Ă©laborer un systĂšme dâinterpretation totalitaireâ. Flauberts Wendung gegen den
zeitgenössischen Romantizismus und Irrationalismus erlaube es nicht, âdâen faire un alliĂ© de la
sociologie qui donne Ă lâĆuvre des raisons socialesâ. Wie aus dieser und anderen Bemerkungen
SĂ©gingers deutlich wird, richtet sich ihre Kritik vor allem gegen Bourdieus Versuche, Flaubert
fĂŒr sein eigenes Projekt zu vereinnahmen. Von dem wohl nicht ganz unberechtigten Einwand
unbenommen bleibt indes der im gegenwÀrtigen Kontext allein interessierende interpretatori-
sche Ansatz, der angesichts seiner Offenheit und AnschlussfĂ€higkeit fĂŒr andere literaturwissen-
schaftliche Analysetechniken keineswegs zwingend totalitĂ€re ZĂŒge annehmen muss (vgl. auch
ebd., S. 96), sondern allenfalls aufgrund seines umfassenden Anspruchs. Aber welche ernst zu
nehmende (literatur)wissenschaftliche Methode versuchte nicht, möglichst viele relevante, teils
heterogene Aspekte in ihrer interpretatorischen Arbeit womöglich widerspruchsfrei zusammen-
zufĂŒhren ?
70 Pfeiffer : Politik und Gesellschaftsstruktur, S. 68.
71 Ebd., S. 65.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208