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83Grundlagen
der Poetik Musils
fĂŒr das heutige Leben sein.â (Tb 1, 578) Kurz zuvor hatte Musil festgehalten,
âdas Problem des Spionsâ Achilles sei in âgewissem Grade [âŠ] das der Gene-
ration seit 1880â, die von der âGeneration der VĂ€terâ allenfalls âwohlwollend
als Utopistenâ behandelt worden sei (Tb 1, 569). Bei aller Betonung der Gene-
rationenproblematik, die noch im fertiggestellten Romantext eine gewichtige
Rolle spielen wird, gibt Musil indes zu bedenken : â[N]icht Zeitroman, synthe-
tischer Aufbau, sondern Konflikt Achillesâ mit Zeit. Nicht synthetisch, sondern
durch ihn aufspalten !â (Tb 1, 579 ; vgl. M II/1/146 ; Br 1, 496) Es geht ihm
schon in dieser frĂŒhen Planungsphase anstelle einer versöhnlichen Synthese
um eine schonungslose Analyse seiner Epoche.
DarĂŒber hinaus notiert Musil wiederholt eine âIdee im Geiste Flaubertsâ46,
die ihn wÀhrend der anfÀnglichen Reflexion um die Romankonzeption fes-
selt : âEinen Menschen ganz aus Zitaten zusammensetzen !â (Tb 1, 356 u.
443) Die Forschung hat gezeigt, dass tatsÀchlich mehrere Romanfiguren bzw.
ihre Aussagen ĂŒber weite Strecken (Walter, Clarisse) oder zumindest partiell
(Leinsdorf, Diotima, Hagauer, Lindner, Feuermaul und SchmeiĂer) aus einer
Montage von bezeichnenden Zitaten bestehen.47 Am Beispiel solcher aus his-
torischem Material kompilierten Figuren (als âintellektuelle Typen allgemei-
neren Charaktersâ zĂ€hlen dazu auch Tuzzi, Stumm, Leo Fischel, Hans Sepp
und Meingast48) lÀsst sich im Roman nicht nur die Konstitution individueller
Charaktere veranschaulichen, sondern auch die Kontur zeitgenössischer intel-
lektueller Strömungen, die miteinander konkurrieren. Das im Nachlass (etwa
in der Mappengruppe VII) zur konzeptionellen Anlage und Weiterentwick-
lung der Romanfiguren versammelte ausfĂŒhrliche Material der Jahre 1921â
1932, in der Forschung aufgrund der eingeschrÀnkten ZugÀnglichkeit bisher
kaum ausgewertet, wurde in der vorliegenden Arbeit konsequent berĂŒcksich-
tigt und zeigt die methodische Arbeit Musils genau an diesem Pensum.49 Die
somit nachvollziehbare, konzeptionell akribische Konstruktion des Romans ist
die Voraussetzung fĂŒr die von Manfred Requardt am fertigen Romantext an-
46 Honold : Die Stadt und der Krieg, S. 282.
47 Vgl. Howald : Ăsthetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 370 ; mehr dazu ebd., S. 193â369 ;
darĂŒber hinaus MĂŒller : Ideologiekritik und Metasprache, S. 12â40 u. passim ; Arntzen : Musil-
Kommentar, S. 102 f. u. passim ; Corino : Musil [2003], S. 847â935 ; Neymeyr : Psychologie und
Kulturdiagnose, passim.
48 Howald : Ăsthetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 370.
49 Vgl. dazu auch eine Notiz zum Zwillingsschwester-Projekt mit der Ăberschrift âVorwortâ aus dem
Jahr 1924 : âOft zu gebrauchende Darstellungsart. Einen Menschen zusammensetzten [sic] (aber
mit aufgedeckten Karten !) aus den fixen Ideen und zwangslĂ€ufigen paar IdeenverknĂŒpfungen
wie zum Beispiel Hagauer. In dieser Weise alle geistigen Menschen : Arnheim, Diotima usw.â (M
VII/8/124)
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208