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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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138 Teil I: Grundlegung WĂ€hrend aber Kretschmer die kĂŒnstlerische Sprache dadurch gekennzeich- net sieht, dass sie begriffliche Abstraktionen „wie Liebe, Tod u. dgl. durch ihre sphĂ€rischen Bildelemente“ gleichsam wieder aufbricht, hebt Musil vor allem auf die tendenziell gegenlĂ€ufige Beobachtung seiner Vorlage ab, der zu- folge „manche bildlichen Wendungen, wie brennendes Feuer, Rosengarten, weiße Lilien, Blumenbrechen, als Symbole ganz fest und formelhaft gewor- den sind“195 und somit eine eigene, vom gewöhnlichen Leben ‚abgespaltene‘ Ordnung etablieren. „Soweit Kunst Abstraktion ist, ist sie schon dadurch auch Zusammenfassung zu einem neuen Zusammenhang.“ (GW 8, 1139) Andrea Gnam bezieht den Fokus der Argumentation Musils zurĂŒck auf die Thematik des Films : „Da eine illusionierende Tonspur fehlt, ist es möglich[,] durch diese Reduktion des banal Narrativen die Aufmerksamkeit auf die struk- turierenden Bildbeziehungen der einzelnen Bildelemente zu lenken.“196 Die Form der frĂŒhen Kinematografie erscheint demnach als „das Ergebnis eines Abstraktionsvorgangs“ : „Die Abstraktionsleistung des stummen Films soll [
] seine [sic] Wurzeln in den Grundprozessen der menschlichen Wahrnehmung haben. Kunst ist [
] in dieser Verbindung von Abstraktion und nicht rationa- len Grundprozessen des Empfindens zugleich Verneinung der bestehenden Lebenswirklichkeit und uneinlösbares Versprechen aus der individuellen und kollektiven FrĂŒhzeit des Erlebens.“197 Folgt man dieser Argumentation, dann zeigt sich, dass das neue Medium Film keineswegs mit ganz „neuen Urformen der Menschlichkeit“ arbeitet, wie BalĂĄzs in legitimatorischer Absicht paradoxer- weise behauptet, sondern im Gegenteil ganz alte bedient. Diese von Musil auch an anderer Stelle vertretene Antithese198 soll im Folgenden profiliert werden. 195 Ebd., S. 68. 196 Gnam : „Leben in Hypothesen“, S. 131. 197 Ebd., S. 131 f. 198 Vgl. wiederum die bereits zitierte Glosse EindrĂŒcke eines Naiven : „Chaplin hat mich nicht ĂŒberrascht, das kannte ich schon. Ich habe Chaplins Vater in der Generation meiner VĂ€ter in der Operette gesehen. Den wundervollen, den glĂ€nzenden, den gewissermaßen vor die SĂ€ue gestreuten Physiognomiker, mit dem Hauch von Resignation darĂŒber in aller Zappelei und Dummheit ; den Knock about lange bevor es bei uns Knock abouts gab, – zu dem sich eine von Gott geschaffene Seele galgenhumorig einrollte. Ja, es gab gute Komiker, und alle waren sie Akrobaten ; vielleicht ist Chaplin besser, aber mich packt sofort das Gemeinsame, die zum Erfolg des Kinos aufgestiegene Linie. Der verdrehte hurtige Gang, die Beweglichkeit, welche ĂŒber SchrĂ€nke steigt, als wĂ€ren sie Schemel, das Umrennen und Umgeranntwerden, die Ohr- feigen, die Verwechslungen, Fußtritte, Rollen ĂŒber das Genick, StĂŒrze, DeckensprĂŒnge ; war das nicht immer ein Lebenselixier des Schauspielers, in dem er erst zu seinem vollen GlĂŒck aufblĂŒhte ? Es ist eine uralte Tradition [!], die mit Hanswurst und den neapolitanischen Mas- ken begann, wenn es nicht ĂŒberhaupt die Lebenslinie des Theaters ist. Aus dem Ernst eines Gottesdienstes, zu dem die Entwicklung des europĂ€ischen Theaters den Schauspieler halb wi-
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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Titel
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Untertitel
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Autor
Norbert Christian Wolf
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2011
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Abmessungen
15.5 x 23.0 cm
Seiten
1224
Schlagwörter
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
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