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144 Teil I: Grundlegung
Zustand, dann werde einem âdas Bild jedes Gegenstandes nicht zum prak-
tischen Ziel, sondern zu einem wortlosen Erlebnisâ, âund die Beschreibun-
gen vom symbolischen Gesicht der Dinge und ihrem Erwachen [âŠ] gehören
zweifellos in seinen Umkreisâ (GW 8, 1144 f.). Musil gesteht BalĂĄzs durchaus
zu, dass âauf dem Terrain des Films, das doch noch ein Spekulationsterrain im
gemeinsten Sinn ist, schon die flĂŒchtige Spur dieser Erlebnisse entdecktâ wer-
den könne, wie er vorsichtiger als der Filmtheoretiker formuliert ; es handle
âsich auch da um die Sprengung des normalen Totalerlebnissesâ, und das sei
immerhin âein Grundvermögen jeder Kunstâ (GW 8, 1145).213
Im unmittelbaren Anschluss daran geht er allerdings zum Gegenangriff
ĂŒber : ZunĂ€chst erwĂ€hnt er warnend âein gefĂ€hrliches Feld von heute allge-
mein verbreiteten Irrlehrenâ, welches das âscheinbar weit abliegend[e]â PhĂ€-
nomen des âanderen Zustandsâ dennoch berĂŒhre ; gemeint sind die unzĂ€hl-
baren und seiner Darstellung zufolge höchst zweifelhaften âzeitgenössischen
Anstrengungen, im Tanz, auf der BĂŒhne, durch Gegenstandsfreiheit der Dar-
stellung in Malerei, Skulptur, Lyrik, durch intuitives Besinnen, Erziehung der
und Ăsthetik, S. 201â203, in ihrer insgesamt lesenswerten Interpretation der AnsĂ€tze zu neuer
Ăsthetik annimmt, indem sie Musils Bestrebungen mit Gottfried Benns bewusst regressivem
Ansinnen gleichsetzt, âden Zugang zu den im Menschen verborgenen prĂ€historischen Schich-
ten freizulegenâ. Im Unterschied zu Benn entkleidet Musil LĂ©vy-Bruhls Beschreibung der âmy-
thischenâ Denkform ihrer zivilisationstheoretischen Schlagseite und kann deshalb gerade nicht
umstandslos âeiner fortschrittsskeptischen, zivilisationskritischen Strömung der Moderneâ zu-
gerechnet werden, âdie den Zivilisationsmenschen der Gegenwart fĂŒr Momente von seinem
modernen Bewusstseinâ zu erlösen strebt.
213 Indem er die âSprengung des normalen Totalerlebnissesâ zu einer Form medienunspezifischer
âTransmedialitĂ€tâ (vgl. die BegriffsklĂ€rungen in Rajewsky : IntermedialiĂ€t, S. 12 f.; Wolf : Inter-
medialitÀt, S. 170 f.) erklÀrt, entwertet Musil freilich bereits indirekt die von Balåzs gerade da-
ran festgemachte Besonderheit des Films. Die zitierten Stellen belegen, dass Musil alte und
neue Medien keineswegs einander schroff gegenĂŒberstellt (âSagenâ vs. âKinoâ) und dass seine
Konzeption des âanderen Zustandsâ sich auch nicht nur als âReproduktionâ bzw. âNachschriftâ
filmischer Erlebnisse oder experimentalpsychologischer Versuchsreihen zu erkennen gibt, wie
Hoffmann : âDer Dichter am Apparatâ, S. 160, in medientheoretischer Ăberpointierung be-
hauptet. Die diskursarchĂ€ologische Idiosynkrasie gegen jegliche âAutonomie des Werkes und
SouverĂ€nitĂ€t des Autorsâ fĂŒhrt zum methodologischen Systemzwang, dem zufolge âMusils
Ă€sthetische Postulate ihre Inhalte von der Ergebnissen experimentalpsychologischer Versuchs-
reihen vorgeschrieben bekommenâ (S. 141) â und fĂ€llt durch die Behauptung einer eindimen-
sionalen âAbhĂ€ngigkeitâ (S. 141) des Autors von vorgĂ€ngigen Diskursen ungewollt in die im-
mobile Schematik Ă€lterer âEinflussforschungâ zurĂŒck. Auf diese Weise konterkariert Hoffmann
seine eigene anregende These, wonach âTechnologien wie etwa die Kinematographie fĂŒr die
Sinnespsychologie in den Jahrzehnten vor und nach dem Jahr 1900 die Rolle von Ereignissenâ
spielten, âdie psychologischer Forschung und Theoriebildung einen Raum von Entfaltungs-
möglichkeiten [!] schaffenâ (S. 156).
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208