Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geisteswissenschaften
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Seite - 158 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 158 - in Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts

Bild der Seite - 158 -

Bild der Seite - 158 - in Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts

Text der Seite - 158 -

158 Teil I: Grundlegung Film konnte eine der Dichtung ebenbĂŒrtige ReflexivitĂ€t erst im Lauf des 20. Jahrhunderts entwickeln252 und wurde dabei unter anderem transmedial von den Errungenschaften der viel traditionsgesĂ€ttigteren Literatur inspiriert. Die Kehrseite der skizzierten reflexiven Kompetenz von Literatur ist frei- lich die bereits von BalĂĄzs inkriminierte Tatsache, dass sie, die „unmittelbar mit dem Material der Formulierung selbst arbeitet“, „von allen KĂŒnsten dem Denken am nĂ€chsten steht und das abstrakte Denken seinem Wesen nach eine formelhafte VerkĂŒrzung ist ; jeder Begriff bedeutet das, und je allgemeiner die Begriffe sind, desto leerer sind sie von besonderem Inhalt“ (GW 8, 1152). Eine eingehende Analyse dieser „Entleerung des Lebens durch das Denken“ hat Musil in seinen Arbeitsheften aus LĂ©vy-Bruhls Denken der Naturvölker exzerpiert.253 Er selbst ergĂ€nzt diese Beschreibung in den AnsĂ€tzen zu neuer Ästhetik indes durch die komplementĂ€re Beobachtung, „daß die Entleerung nicht nur vom Denken gilt, sondern auch vom FĂŒhlen, und man kann ganz analog den Kitsch sowohl wie die moralische Engstirnigkeit als eine formel- hafte VerkĂŒrzung des GefĂŒhls bezeichnen“ (GW 8, 1152). Hier liege eine Ge- fahr aller KĂŒnste254, besonders aber des Films verborgen255, und insofern sei es eine Aufgabe aller „KĂŒnstler“ wie auch „der Forscher oder der Gesetzgeber“, dagegen anzukĂ€mpfen ; „sie sollten einander nicht entwerten, sondern ihre Anstrengungen vereinen“ (GW 8, 1152). Das Fazit der Medienkomparatistik Musils gibt sich versöhnlich.256 In den orakelhaft anmutenden Schlussworten 252 Als Beispiel sei etwa Sans soleil (1983) erwĂ€hnt, der erste Essayfilm von Chris Marker, des- sen aus dem Off gesprochener verbaler Text parallel zur Bilderfolge zu hören ist und fiktive Elemente mit essayistisch-philosophischen Kommentaren verbindet. Der Text fungiert als ei- genstĂ€ndiger reflexiver Kommentar zu den Bildern und stellt eine explizite Reflexion ĂŒber das visuell Vermittelte und seine Wahrnehmung dar. 253 Vgl. Tb 1, 627, nach LĂ©vy-Bruhl : Das Denken der Naturvölker, S. 149. Mehr dazu unten in Kap. I.3.2. 254 Mehr dazu in Wolf : „Wer hat dich, du schöner Wald
 ?“, S. 202–204. 255 In einer im Nachlass ĂŒberlieferten undatierten Notiz erklĂ€rt Musil den populĂ€ren „Erfolg des Kinos“ denn auch damit, dass in diesem „die emotionalen Grundstimmungen des Organismus“ – „grobe SentimentalitĂ€t, grobe[r] Edelmut udgl.“ – „ohne störendes Wort bewegt werden“ (GW 7, 908, nach M III/4/51). 256 So nimmt er durchaus auch medienspezifische Vorteile des Films wahr, wie aus seiner Glosse EindrĂŒcke eines Naiven hervorgeht, in der er etwa die „Überlegenheit“ der reproduktiven kine- matografischen „Technik“ gegenĂŒber dem Theater erwĂ€hnt : „Dieser Schauspieler spielt das Gleiche fĂŒnfhundertmal, und ich sehe ihn einmal, so daß die Wahrscheinlichkeit, daß ich seine beste Leistung erwische, ein FĂŒnfhundertstel ist ; der Filmregisseur dagegen ließe den gleichen Vorgang, wenn es nottĂ€te, fĂŒnfhundertmal kurbeln, und die Wahrscheinlichkeit, daß der Be- sucher den besten Moment sieht, ist bei ihm unter allen UmstĂ€nden gleich der Gewißheit.“ In diesem suggestiven Argument, das angesichts der eminenten wirtschaftlichen ZwĂ€nge des
zurĂŒck zum  Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
FWF-E-Book-Library
Titel
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Untertitel
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Autor
Norbert Christian Wolf
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2011
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Abmessungen
15.5 x 23.0 cm
Seiten
1224
Schlagwörter
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion