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213Grundbegriffe
des Romankonzepts
ßerst kritische Haltung gegenüber dem nichtempirischen, prinzipiengeleiteten
philosophischen Denken :
Er war kein Philosoph. Philosophen sind Gewalttäter, die keine Armee zur Verfü-
gung haben und sich deshalb die Welt in der Weise unterwerfen, daß sie sie in ein
System sperren. Wahrscheinlich ist das auch der Grund dafür, daß es in den Zeiten
der Tyrannis große philosophische Naturen gegeben hat, während es in den Zeiten
der fortgeschrittenen Zivilisation und Demokratie nicht gelingt, eine überzeugende
Philosophie hervorzubringen […]. Darum wird heute in kurzen Stücken erschrek-
kend viel philosophiert, so daß es gerade nur noch die Kaufläden gibt, wo man ohne
Weltanschauung etwas bekommt, während gegen große Stücke Philosophie ein aus-
gesprochenes Mißtrauen herrscht. […] [A]uch Ulrich war keineswegs frei davon, ja
er dachte nach seinen wissenschaftlichen Erfahrungen etwas spöttisch über sie. Das
gab die Richtung für sein Verhalten, so daß er immer wieder von dem, was er sah,
zum Nachdenken aufgefordert wurde und doch mit einer gewissen Scheu vor zuviel
Denken behaftet war. (MoE 253)
In Ulrichs „Scheu vor zuviel Denken“, die sich in merkwürdigem Kontrast
zu seiner sonstigen Vorliebe für zweckentbundene Reflexion befindet, mani-
festiert sich ein hartnäckiger Vorbehalt gegenüber jener abstrakten, logisch-
begrifflichen Konstruktionsweise von Welt, welche in radikaler Ausprägung
einer Aporie aller wissenschaftlichen Praxis dazu neigt, „die Grenzen zu ver-
gessen, die dem scholastischen Denken infolge der ganz speziellen Bedingun-
gen seiner Herausbildung gesteckt sind“135. Der Mann ohne Eigenschaften ist
sich dieser Grenzen hingegen wohl bewusst, und ihre systematische Ausblen-
dung gereicht ihm sogar zum Anlass leidenschaftlicher Aversion :
Es gab etwas in Ulrichs Wesen, das in einer zerstreuten, lähmenden, entwaffnenden
Weise gegen das logische Ordnen, gegen den eindeutigen Willen, gegen die bestimmt
gerichteten Antriebe des Ehrgeizes wirkte, und auch das hing mit dem seinerzeit von
ihm gewählten Namen Essayismus zusammen, wenn es auch gerade die Bestandteile
enthielt, die er mit der Zeit und mit unbewußter Sorgfalt aus diesem Begriff ausge-
schaltet hatte. (MoE 253)
Ulrichs manifeste Abneigung gegenüber begriffslogischer philosophischer
Reflexion entspringt nicht allein einer individuellen Idiosynkrasie, sondern
korrespondiert überdies mit dem meist unbewussten, aber nicht unbegrün-
135 Bourdieu : Meditationen, S. 25.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
- 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der Funktionär Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
- Ein trojanisches Pferd des Militärs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der Geschlechteridentitäten : Die „Träger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen Eheführung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche Verhältnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frühes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
- Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne Männerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
- Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- Bildungsbürger contra Kleinbürger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- Bildungsbürger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- Sekundärliteratur zu Musil 1193
- Register 1208