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257Grundbegriffe
des Romankonzepts
âOrt[s] jenseits aller Orteâ auf der gedanklichen Basis irrealer Körper, die â
dem groĂen abendlĂ€ndischen âMythos der Seeleâ243 entsprechend â âvon
grenzenloser Dauer, von allen Fesseln frei, unsichtbar, geschĂŒtzt und in stĂ€n-
diger Umbildung begriffen wĂ€re[n]â244. Zum anderen vermeidet er peinlich
die narrative Erzeugung der zweiten Erscheinungsform diskursiver Hetero-
topie, die Foucault zufolge auf affirmative Weise âeinen anderen realen Raum
schaff[t], der im Gegensatz zur wirren Unordnung unseres Raumes eine
vollkommene Ordnung aufweistâ â und das zugunsten jener ersten, die sub-
versiv âeine Illusion schaff[t], welche die gesamte ĂŒbrige RealitĂ€t als Illusion
entlarvtâ.245 In Musils eigenen Worten aus der âunfreundlichen Betrachtungâ
Schwarze Magie (zuerst 1923), die im NachlaĂ zu Lebzeiten (1936) folgendes
Pensum zur denkerischen Durchdringung des Lebens formuliert : âDas Den-
ken hat neben anderen Zwecken den, geistige Ordnungen darin zu schaffenâ,
aber eben â[a]uch zu zerstörenâ (GW 7, 503). Albrecht Schöne hat die ethi-
sche und handlungspraktische Konsequenz der essayistischen Lebenshaltung
Ulrichs auf den Punkt gebracht : âDiesem Liebhaber des Potentialis, des ex-
perimentellen WeltverhĂ€ltnisses fehlt [âŠ] die Entschiedenheit des TĂ€ters,
der blind ist gegenĂŒber der Vielzahl der Möglichkeiten um des Einen wil-
len, das er tut.â246 Die spezifisch zukunftsoffene und antitotalitĂ€re Struktur des
Musilâschen Utopismus bewahrt seinen Romanhelden davor, eine jener auf
Verwirklichung hin getrimmten zeittypischen Utopien bzw. Heterotopien zu
entwerfen (bzw. ihr zu verfallen), die in den ârealenâ historischen Versuchen ei-
ner monolinearen Realisierung schlieĂlich ihr ganzes menschenverachtendes
Potenzial offenbarten.
243 Foucault : Die Heterotopien/Der utopische Körper, S. 27 f.
244 Ebd., S. 26.
245 Ebd., S. 19 f.; vgl. ders.: Von anderen RĂ€umen, S. 941.
246 Schöne : Zum Gebrauch des Konjunktivs bei Musil, S. 24 ; dazu auch Frey : Musils Essayismus,
S. 234.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208