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Teil II: Romantext als
KrÀftefeld302
des sozialen Raums lokalisiert, der sich anhand seiner relativen Stellung gegenĂŒber
den anderen Orten (oberhalb, unterhalb, zwischen und so weiter) und anhand seiner
Entfernung von diesen definieren lĂ€Ăt.96
Der Soziologe konzeptualisiert soziale RÀumlichkeit freilich zunÀchst ohne
Bezug und RĂŒcksicht auf erzĂ€hlerische Raumkonstitutionen, die sich des
sprachlichen Mediums bedienen. Dennoch können die Implikationen seines
Konzeptes zur Analyse der differenziellen Struktur narrativer Gesellschafts-
konstruktionen fruchtbar gemacht werden, wie ein Blick auf die konstitutiven
Distinktionsbildungen zeigt :
Der soziale Raum weist die Tendenz auf, sich mehr oder weniger strikt im phy-
sischen Raum in Form einer bestimmten distributionellen Anordnung von Akteuren
und Eigenschaften niederzuschlagen. Daraus folgt, daĂ alle Unterscheidungen in
bezug auf den physischen Raum sich wiederfinden im reifizierten sozialen Raum
(oder, was auf dasselbe hinauslÀuft, im angeeigneten physischen Raum), der sich in
Leibnizschen Begriffen definieren lĂ€Ăt als Korrespondenz zwischen einer bestimm-
ten Ordnung der Koexistenz von Akteuren und einer bestimmten Ordnung der Ko-
existenz von Eigenschaften. Jeder Akteur ist charakterisiert durch den Ort, an dem
er mehr oder weniger dauerhaft situiert ist, sein Domizil (wer âohne [âŠ] Heimâ ist,
ohne âfesten Wohnsitzâ [wie im Mann ohne Eigenschaften etwa die Figur Moosbrug-
ger, N. C. W.], besitzt nahezu keine Existenz [âŠ]), und durch die Position seiner
Lokalisationen â der zeitweiligen (wie zum Beispiel der EhrenplĂ€tze, protokollarisch
geregelte Sitzordnungen) wie vor allem der dauerhaften (seine private und berufliche
Adresse) â im VerhĂ€ltnis zur Position der Lokalisationen der anderen Akteure. Er
ist weiter charakterisiert durch den Platz, den er im Raum (legal) einnimmt anhand
seiner Eigenschaften beziehungsweise seines Besitzes (HĂ€user und Wohnungen [âŠ]
und so weiter), die mehr oder weniger âraumfĂŒllendâ sind (die ostentative Zurschau-
stellung angeeigneten Raums stellt denn auch die Form par excellence der osten-
tativen Zurschaustellung von Macht dar). Daraus folgt, daĂ der von einem Akteur
eingenommene Ort und sein Platz im angeeigneten physischen Raum hervorragende
Indikationen fĂŒr seine Stellung im sozialen Raum abgeben.97
Wie bereits angedeutet wurde, spielt die physische Topografie der kaka-
nischen Metropole Wien in Musils Mann ohne Eigenschaften aus poetologi-
schen GrĂŒnden eine untergeordnete Rolle. Umso wichtiger ist deshalb fĂŒr den
96 Bourdieu : Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum, S. 26.
97 Ebd.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208