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Teil II: Romantext als
KrÀftefeld310
was hinsichtlich der Analogie zwischen geschlechtlicher Liebe und Kunst-
liebe und des Gegensatzes zwischen den SphĂ€ren der Ăkonomie und der
Kunst deutlich wird ; Letzterer entsprechen im Vergleich zu Ersterer ja
schlechterdings inverse soziale Spielregeln : âDas grundlegende Gesetz die-
ses paradoxen Spiels besteht gerade darin, an Interesselosigkeit, UneigennĂŒt-
zigkeit interessiert zu sein : Die Liebe zur Kunst ist Liebe aus Leidenschaft,
zumindest von den Normen des gewöhnlichen, des ânormalenâ [âŠ] Lebens
aus gesehen.â128
Insofern lĂ€sst sich fĂŒr den gesamten kanonischen Text des Mann ohne Ei-
genschaften anstelle des ursprĂŒnglich im Zentrum stehenden Inzesttabus eine
sublimierte romankonstitutive Differenz etablieren, nĂ€mlich die zwischen âei-
gennĂŒtzigemâ und âuneigennĂŒtzigemâ Weltverhalten, die in Analogie zu Musils
Unterscheidung zwischen ânormalemâ und âanderem Zustandâ steht und trotz
aller scheinbaren UnverfĂŒgbarkeit fĂŒr das âprofaneâ Denken in Kapitalsorten
durchaus mit Bourdieu als Differenz zwischen âökonomischemâ und âsymbo-
lischem Kapitalâ beschrieben werden kann129, als dessen Sonderform eben
das âkulturelle Kapitalâ fungiert. âDas Gesetz von der Unvereinbarkeit der
Welten vollzieht sich ĂŒber die Homologie von Liebes- und Kunstformen.â130
Die verschiedenen LiebesverhÀltnisse Ulrichs und anderer Romanfiguren er-
langen auf diese Weise eine strukturell erhöhte Bedeutung, denn : âWie die
reine Liebe das Lâart-pour-lâart der Liebe ist, so ist das Lâart-pour-lâart die
reine Liebe zur Kunst.â131 VerstĂ€ndlich wird anhand der skizzierten polaren
Struktur etwa einerseits, weshalb fĂŒr den Schriftsteller Musil das PhĂ€nomen
des âanderen Zustandsâ kĂŒnstlerisch so bedeutsam war, andererseits, weshalb
âleidenschaftliche Liebenâ (wie jene zwischen Ulrich und Agathe), âdie die bĂŒr-
gerlichen Familien an den Rand der Verzweiflung bringen, da sie den Ehrgeiz
vernichtenâ132, fĂŒr die gesellschaftliche Reproduktion generell so ein enormes
Problem darstellen können.
Die kultursoziologische Erweiterung des literaturwissenschaftlich entwi-
ckelten Raumbegriffs kann also an Lotmans Vorstellung einer strukturellen
128 Bourdieu : Die Regeln der Kunst, S. 49.
129 Nach Bourdieu : Die mÀnnliche Herrschaft, S. 189 f., bedeutet ein Verkennen der AffinitÀt je-
ner âUneigennĂŒtzigkeit, welche von Instrumentalisierung freie Beziehungen ermöglichtâ, zum
symbolischen Kapital nicht nur den RĂŒckfall in einen ĂŒberholten Idealismus, sondern darĂŒber
hinaus auch ein radikales MissverstĂ€ndnis der âĂkonomie des symbolischen Tauschesâ ĂŒberhaupt ;
mehr dazu im Abschnitt ĂŒber Ulrich und Agathe in Kap. II.3.1.
130 Bourdieu : Die Regeln der Kunst, S. 49.
131 Ebd., S. 53.
132 Ebd., S. 51 ; vgl. S. 52.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208