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336 Teil II: Romantext als KrÀftefeld
sie zur bisweilen verbissenen Investition in die mÀnnlichen Gewaltspiele, wie in un-
seren Gesellschaften den Sport und ganz speziell diejenigen Formen, die sich wie die
Kampfsportarten am besten dazu eignen, die sichtbaren Merkmale der MĂ€nnlichkeit
hervorzubringen und die sogenannten mÀnnlichen Eigenschaften unter Beweis und
auch auf die Probe zu stellen.32
Wie die Forschung zum Mann ohne Eigenschaften mittlerweile auch gebĂŒhrend
gewĂŒrdigt hat, spielt der Sport in diesem dezidiert âmodernenâ Roman eine
nicht unerhebliche Rolle.33 Neben vielen anderen ihm darin zugewiesenen
Funktionen dient er den von ihm begeisterten MĂ€nnern zur (auch geschlecht-
lichen) Selbstvergewisserung in einer Zeit der allenthalben diskursivierten
Krise34, die freilich immer mehr als topisches Deutungsmuster von MĂ€nnlich-
keit ĂŒberhaupt erscheint.35 Nicht von ungefĂ€hr entzĂŒndet sich Musils Spott
am âlĂ€cherliche[n] Anspruch der LeibesĂŒbungen, eine Erneuerung des Men-
schen zu seinâ (GW 7, 688), wie er 1931 in der Glosse Als Papa Tennis lernte
zu den ĂŒbertriebenen Erwartungen festhĂ€lt, die man in den Sport auch als
Remaskulinisierungsinstanz steckte.36 Die Hochkultur Wiens um und nach
1900 ist nicht nur allgemein durch jene viel beschworene âKrise der IdentitĂ€tâ
gekennzeichnet37, die vom speziellen sozialen Kontext der multinationalen
und multikulturellen Habsburgermonarchie befördert wird, sondern â mehr
32 Ebd., S. 93 f.
33 Vgl. Kuzmics/MozetiÄ : Musils Beitrag zur Soziologie, S. 230 u. bes. S. 245â256 ; Fleig : Körper-
kultur und Moderne, passim, bes. S. 213â284 ; zuvor schon Bernett : Musils Deutung des Sports ;
Kreutzer : Das geniale Rennpferd ; Kunze : Ulrich boxt ; ders.: FreizeittrÀume, Körpermasken,
Kitsch ; Baur : Sport und subjektive Bewegungserfahrung ; zum Gesamtzusammenhang auch die
biografischen Informationen in Corino : Musil [2003], S. 809â822.
34 Vgl. das Kapitel âKrise der MĂ€nnlichkeitâ in Fleig : Körperkultur und Moderne, S. 221â226.
35 Nach Erhart : Das zweite Geschlecht, S. 218, rekurriert âjede Geschichtsschreibung der MĂ€nn-
lichkeit mittlerweile fast automatischâ auf das âKonzept einer Kriseâ, ja dieses beanspruche fĂŒr
die Zeit um 1900 geradezu âemblematische GĂŒltigkeitâ, obwohl es doch âlediglich die Selbstbe-
schreibungsmodelle der Epoche fortschreibt und wiederholtâ. Inzwischen sei âdas Konzept der
âKriseâ in der Geschichte der MĂ€nnlichkeitâ allerdings allmĂ€hlich âselbst in eine Krise geratenâ,
zumal âes offensichtlich immer schon [âŠ] historische Krisen der MĂ€nnlichkeit gegeben hatâ
und diese sich âauch bis in die Gegenwart fortschreibenâ lassen : âDie Sinnfigur der historischen
Krise wurde deshalb durch eine psychogenetische Figur ersetzt : MĂ€nnlichkeit ist demzufolge
âimmer schonâ und permanent in einer Kriseâ (S. 221).
36 Zum kulturgeschichtlichen Kontext vgl. Fleig : Musils Kritik am Geist des modernen Wett-
kampfsports.
37 Vgl. dazu Pollak : Wien 1900 [Untertitel : Eine verletzte IdentitÀt], passim, bes. S. 153 f.; Le Ri-
der : Das Ende der Illusion [Untertitel : Die Wiener Moderne und die Krisen der IdentitÀt] ; zur
expliziten Reflexion der Problematik in Musils Roman vgl. die Bemerkungen in Kap. II.1.2.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208