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337âZeitfigurenâ
1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ
als vergleichbare urbane Zentren Europas dieser Zeit â insbesondere durch
eine Krise âder mĂ€nnlichen IdentitĂ€tâ.38 Körperlichen Niederschlag fand dies
zunĂ€chst etwa in einem eigentĂŒmlichen Streben junger MĂ€nner nach beson-
ders viriler Erscheinung, das Stefan Zweig (allerdings in anderem Zusammen-
hang) kolportiert : âDie Zeitungen empfahlen Mittel, um den Bartwuchs zu
beschleunigen, vierundzwanzig- oder fĂŒnfundzwanzigjĂ€hrige junge Ărzte, die
eben das medizinische Examen absolviert hatten, trugen mĂ€chtige BĂ€rteâ und
âlange schwarze Gehröckeâ.39 Im Verlauf der fortschreitenden Modernisierung
in der Zwischenkriegszeit und der damit einhergehenden VerschÀrfung der
Krise solcher herkömmlichen Attribute von MÀnnlichkeit, die immer mehr
âzu einem ideologischen Gespenst gewordenâ waren, musste sich âdas Leben
[âŠ] ein neues Bild der MĂ€nnlichkeit suchenâ (MoE 44 f.). Deren ĂŒberkom-
mene Ausdrucks- und Beglaubigungsformen wurden sukzessive von sportli-
cher BetÀtigung und durchtrainierten Körpern verdrÀngt.40 Die bei kursori-
scher Betrachtung vielleicht vernachlĂ€ssigbar erscheinende ErschĂŒtterung der
mÀnnlichen GeschlechtsidentitÀt war in Wien nach der Jahrhundertwende
dermaĂen virulent geworden, dass sie als signifikantes historisches PhĂ€nomen
sogar Eingang in die einschlĂ€gigen Ăberblickswerke gefunden hat :
Autoren wie Otto Weininger (âGeschlecht und Charakterâ, 1903 [âŠ]) sahen die
mÀnnliche IdentitÀt zutiefst bedroht und formulierten daraus einen Antifeminismus,
der oft mit antisemitischen Ansichten verknĂŒpft wurde. Juden zĂ€hlten zum Anti-
Typus des hegemonialen MĂ€nnlichkeitsmodells. Nicht nur die Wiener, sondern die
(stÀdtische) Moderne um 1900 eröffnete eine Vielzahl von alternativen Geschlechts-
rollen, die nach dem Ersten Weltkrieg ebenso wie die Geschlechterdebatte, die De-
batten ĂŒber die Krise von MĂ€nnlichkeit wieder aufgenommen wurden.41
Wie in diesem knappen historiografischen Abriss bereits anklingt, kommt der
zeitgenössischen Literatur eine herausragende Rolle nicht allein als Symptom
38 Schmale : Geschichte der MĂ€nnlichkeit in Europa, S. 231 ; vgl. Hanisch : Der lange Schatten des
Staates, S. 260.
39 Zweig : Die Welt von Gestern, S. 50. Eine ironische Analyse der Rolle des in einer
âmerkwĂŒrdige[n] Phantasieentartungâ immer lĂ€nger werdenden Bartes fĂŒr die MĂ€nnlichkeits-
vorstellung um 1900 unternimmt Musils Essay Die Frau gestern und morgen (GW 8, 1194 f.).
40 Vgl. die im VorĂŒbergehen vermittelten VerĂ€nderungen in der gesellschaftlichen Bewertung des
Sports in Zweig : Die Welt von Gestern, S. 76 f.; dazu die Hinweise in Kuzmics/MozetiÄ : Musils
Beitrag zur Soziologie, S. 248 f.; Fleig : Körperkultur und Moderne, S. 223â225.
41 Schmale : Geschichte der MÀnnlichkeit in Europa, S. 231. Vgl. dazu Gilman : Rasse, SexualitÀt
und Seuche, S. 155â180.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208