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345âZeitfigurenâ
1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass und inwiefern der Moment des
Erbens immer eine familiÀre Krisensituation darstellt, die einer erzÀhlerischen
Darstellung zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. DarĂŒber hinaus
zeichnet sich die eminente HistorizitĂ€t des Erbvorgangs als Ăbertragungsmo-
dus familiĂ€ren Kapitals ab, was besonders augenfĂ€llig im Ăbergang zur Mo-
derne â einem zentralen Thema des Mann ohne Eigenschaften â zu beobachten
ist. Als Institution unterliegt das âsoziale Erbeâ historisch gerade zur erzĂ€hlten
Zeit und zur ErzĂ€hlzeit des Musilâschen Romans einem tiefgreifenden Wan-
del, nÀmlich der von Musil 1929 (in seinem Essay Die Frau gestern und morgen)
selbst diskutierten
Tatsache, daĂ heute höchstens Geld und Besitz vererbt werden, wogegen das frĂŒ-
her beinahe mit dem ganzen Zuschnitt des Lebens geschah. Man könnte geradezu
sagen, daĂ das Problem der Generationen eng mit dem Ăbergang von eigenen, die
Geschlechter ĂŒberdauernden, Rang und Reichtum darstellenden Haus, das seine Be-
wohner prĂ€gte, zur Nomadenmietswohnung der GroĂstĂ€dte zusammenhĂ€ngt. (GW
8, 1196)
Mit Bourdieu lĂ€sst sich diese Diagnose einer zunehmenden historischen âFo-
kussierungâ des Erbes auf ökonomisches Kapital soziologisch differenzieren :
Die Institution des Erben und der Schicksalseffekt, den diese ausĂŒbt, war frĂŒher allein
dem Wort des Vaters oder der Mutter unterstellt, die die VerfĂŒgungsmacht ĂŒber den
Willen und die AutoritÀt der ganzen familialen Gruppe innehatten. Heute wirkt hier
auch die Schule mit, deren Urteile und Sanktionen diejenigen der Familie bestÀtigen,
ihnen aber auch entgegenlaufen und entgegenwirken können und die ganz entschei-
dend an der Konstruktion von IdentitÀt mitwirken.68
Diesem Befund zufolge sind in modernen, ausdifferenzierten Gesellschaften
mehrere Instanzen und Institutionen am Vorgang des Erbens beteiligt, wo-
durch sich die ĂŒber âGeld und Besitzâ hinausgehende Kapitalstruktur des El-
ternhauses â also soziales und kulturelles Kapital â nicht mehr so unmittelbar
und ungebrochen in Strategien auswirkt, wie das in traditionelleren Zusam-
dieus hier vorgenommene analytische BeschrĂ€nkung auf den âFall des Sohnesâ keineswegs ohne
weiteres generalisiert werden kann und nicht von einer âUntersuchung der Variationen der Erb-
schaftsbeziehungen je nach Geschlecht der Eltern und der Kinderâ entbindet (vgl. ebd., Anm.
1).
68 Ebd., S. 651.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208