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350 Teil II: Romantext als KrÀftefeld
erzĂ€hlerischen Analepsen des ersten Romanteils am Beispiel des âsozialen Er-
besâ untermauert : WĂ€hrend die hier vorgestellte Familiengeschichte zunĂ€chst
ein Musterbeispiel fĂŒr eine familiĂ€re Kapitalakkumulation und einen gelun-
genen Kapitaltransfer von der Generation des GroĂvaters zu der des Vaters
abgibt, verhÀlt es sich mit der sozialen Vererbung vom Vater zum Sohn ent-
schieden komplizierter.
Bereits Ulrichs GroĂvater âwar ein wohlhabender Mann gewesenâ (MoE
14).87 Dessen Erbe ermöglichte es dem 1844 âin Protiwinâ â also in der sĂŒd-
böhmischen Provinz â geborenen Vater (MoE 693), ein Jurastudium zu be-
ginnen und damit jenes spezifische kulturelle Kapital zu erwerben, das ihm
als Angehörigem des aufstrebenden BĂŒrgertums88 um 1860 die besten Auf-
stiegschancen im noch stark aristokratisch geprÀgten Macht-Feld der Habs-
burgermonarchie sicherte : die Karriere eines UniversitÀtsprofessors der
Rechtswissenschaften, also der universitÀren Disziplin, die Geistesadel mit der
praktischen Verwendbarkeit in hohen StaatsÀmtern verbindet. Parallel zu sei-
nem Studium arbeitet der Vater âohne Notâ âals Hauslehrer in hochgrĂ€flichen
HĂ€usernâ und setzt diese TĂ€tigkeit sogar ânoch als junger Rechtsanwaltsge-
hilfeâ fort (MoE 14). Seine âsorgfĂ€ltige Pflege dieser Beziehungenâ erweist sich
bald als geschickte Investition ins soziale Kapital, indem âer allmĂ€hlich zum
Rechtskonsulenten fast des gesamten Feudaladels seiner Heimat aufrĂŒckte,
obgleich er eines Nebenberufs nun erst recht nicht mehr bedurfteâ (MoE 14).
Durch die doppelte Investition erzielt er auf doppelter Ebene einen Gewinn,
der ihn in Form von wissenschaftlicher Reputation wie auch eines betrÀcht-
lichen âVermögen[s]â in die Lage versetzt, die Tochter âeiner rheinischen In-
dustriellenfamilieâ zu ehelichen (MoE 14), also die im weiteren Romanverlauf
wichtigen Konzepte âBesitz und Bildungâ in der eigenen Familie zu vereinen89
â und das mit dem wohl nicht unerwĂŒnschten Nebeneffekt, ĂŒber die dabei
erzielte Mitgift das eigene ökonomische Kapital noch zu vervielfachen. Die
glĂŒckliche Hand des Vaters bei den PrimĂ€rinvestitionen macht sich in seinem
weiteren Leben mehr als bezahlt, wobei die einmal erworbene Kapitalaus-
spĂ€ter konstatierte â[n]icht gelöste Aufgabe vermittelnder Instanzenâ (MoE 1942) könnte auch
darauf bezogen werden.
87 Dies ist hier die einzige, aber entscheidende Information ĂŒber den GroĂvater.
88 Die sozialhistorischen HintergrĂŒnde skizzieren BruckmĂŒller/Stekl : Zur Geschichte des BĂŒrger-
tums in Ăsterreich ; vgl. auch den von BruckmĂŒller, Döcker, Stekl und Urbaritsch herausgegebe-
nen Band BĂŒrgertum in der Habsburgermonarchie.
89 Bei seiner Beileidsbekundung nach dem Tod des Vaters bemerkt Graf Leinsdorf dementspre-
chend zu Ulrich : âIhr Papa ist einer der letzten wahren Vertreter von Besitz und Bildung gewe-
senâ (MoE 839).
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208