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376 Teil II: Romantext als KrÀftefeld
Nach der Begegnung mit Agathe intensivieren sich die BemĂŒhungen um
den âanderen Zustandâ und damit auch die aufgewendete Ernsthaftigkeit. So
ĂŒberkommt Ulrich, der die weiblichen Romanfiguren bisher nie richtig ernst
genommen hat (vgl. MoE 493, 566 f. u. 620) und auch von Agathe zunÀchst
des Unernstes verdÀchtigt wird (vgl. MoE 739 u. 861), im Anschluss an ihre
Frage nach seiner LektĂŒre
ein Ernst, wie er ihn seit glĂ€ubigen Jugendtagen nicht mehr gefĂŒhlt hatte, und ehe
sich diese Wolke schwerelosen Ernstes wieder verflĂŒchtigte, die vom Raum hinter
seinem RĂŒcken bis zum Buch, worauf seine Gedanken ruhten, durch den ganzen
Körper reichte, hatte er eine Antwort gegeben, die ihn mehr durch ihren völlig iro-
nielosen Ton als den Inhalt ĂŒberraschte : er sagte : âIch unterrichte mich ĂŒber die
Wege des heiligen Lebens.â (MoE 750)
An der einmal getroffenen Entscheidung, die BemĂŒhungen um den âanderen
Zustandâ âvöllig ernstâ zu nehmen (MoE 767), hĂ€lt Ulrich nun dauerhaft fest,
was sich gerade auch in seinem âernstenâ Spott gegenĂŒber dem in der Paral-
lelaktion proklamierten, inhaltsleeren âGeist der Tatâ niederschlĂ€gt : âEine Tat
muĂ einen Sinn haben !â (MoE 778), fordert er jetzt â er, der frĂŒher einmal
seinem Jugendfreund Walter die skeptische Frage gestellt hatte, âwozu er ei-
gentlich einen Sinn braucheâ angesichts der Tatsache, dass es âdoch auch soâ
gehe (MoE 216). Nunmehr jedoch erinnert âihn sein Gewissen an die erste
Unterhaltung, die er mit Agathe darĂŒber auf der Schwedenschanze gehabt
hatteâ, und er empfindet das völlig ironielos âals tiefe[n] Ernstâ (MoE 778).
Nach der Entscheidung, seinen âUrlaub vom Lebenâ zu beenden und mit
Agathe ins âTausendjĂ€hrige Reichâ zu ziehen, also sich aus dem gesellschaft-
lichen Leben vollkommen zu verabschieden, muss er sich âeingestehn, daĂ
[âŠ] der ânach der Regel der freien Geisterâ dahinlebende Mensch, dem er
in sich allzuviel Bequemlichkeit zugebilligt hatte, mit einem Schlag in einen
gefÀhrlichen Widerspruch zu dem tief unbestimmten geraten war, von dem
der wirkliche Ernst ausgehtâ (MoE 801 f.). Bonadeas Unterstellung, er habe
mit seiner Schwester âein VerhĂ€ltnis [âŠ] angefangenâ, weist Ulrich deshalb â
wie bereits erwĂ€hnt152 â âernster, als er wollteâ, zurĂŒck, indem er erklĂ€rt : âIch
habe mir vorgenommen, lange Zeit keine Frau anders zu lieben, als wÀre sie
meine Schwesterâ (MoE 891). Den hochschieĂenden âAusdruck âTausendjĂ€h-
riges Reichââ hat er nĂ€mlich, âwenn auch nur als Vergleichâ, so doch ânicht nur
im Scherzâ gebraucht : âWenn man dieses Versprechen ernst nahm, kam es auf
152 Vgl. Kap. II.1.3.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208