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398 Teil II: Romantext als KrÀftefeld
resĂŒmierenden Ăbersicht nicht wie ein von Moosbrugger selbst geĂ€uĂerter
wirkt, obgleich die Behauptung, dass Moosbrugger nicht in der Summe seiner
Vorstrafen aufgehe, ganz in seinem Sinne ist.
Die skizzierte PerspektivenĂŒberblendung prĂ€gt als zwei- oder mehrdeuti-
ges âIneinanderflieĂen der Redenâ bzw. als unentwirrbare âVermengung der
Stimmenâ196, die Musils ErzĂ€hlverfahren trotz aller Differenzen eher demjeni-
gen Flauberts als dem seines Zeitgenossen Proust annÀhert, auch die folgen-
den Passagen des 18. Kapitels : Im unmittelbaren Anschluss heiĂt es zunĂ€chst
scheinbar aus dem Blickwinkel Moosbruggers : âUnd wer denkt daran, was es
heiĂt, sich tage- und wochenlang nicht richtig waschen zu können. Die Haut
wird so steif, daà sie nur grobe Bewegungen erlaubt, selbst wenn man zÀrt-
liche machen wollte, und unter einer solchen Kruste erstarrt die lebendige
Seele.â (MoE 70) Die zitierten Worte wirken ungeachtet ihrer eigenwilligen
PoetizitÀt wie eine etwas ungelenke, jedenfalls verharmlosende Rechtfertigung
des Delinquenten in eigener Sache. Im weiteren Verlauf der Narration schlÀgt
die Formulierungskunst des ErzÀhlers allerdings eine Richtung ein, die den
Moosbruggerâschen Geisteskosmos bei weitem ĂŒbersteigt, wenngleich sie sich
immer wieder aus seinem schier unerschöpflichen Fundus an grotesken Wahr-
nehmungen und forcierter Bildlichkeit bedient :
Der Verstand mag weniger davon berĂŒhrt werden, das Notwendige wird man ganz
vernĂŒnftig tun ; er mag eben wie ein kleines Licht in einem riesigen wandelnden
Leuchtturm brennen, der voll zerstampfter RegenwĂŒrmer oder Heuschrecken ist,
aber alles Persönliche ist darin zerquetscht, und es wandelt nur die gÀrende orga-
nische Substanz. Dann begegneten dem wandernden Moosbrugger, wenn er durch
die Dörfer kam oder auch auf der einsamen StraĂe, ganze Prozessionen von Frauen.
Jetzt eine, und eine halbe Stunde spÀter zwar erst wieder eine Frau, aber wenn sie
selbst in so groĂen ZwischenrĂ€umen kamen und gar nichts miteinander zu tun hat-
ten, im ganzen waren es doch Prozessionen. Sie gingen von einem Dorf zum andern
oder hatten nur soeben vors Haus gesehn, sie trugen dicke TĂŒcher oder Jacken, die
in einer steifen Schlangenlinie um die HĂŒften standen, sie traten in warme Stuben ein
oder trieben ihre Kinder vor sich her oder waren auf der StraĂe so allein, daĂ man sie
mit einem Stein hÀtte werfen können wie eine KrÀhe. (MoE 70)
Von einer âgĂ€renden organischen Substanzâ hĂ€tte eine Figur vom Schlage
Moosbruggers kaum gesprochen, wÀhrend die syntaktisch defizitÀre For-
196 Genette : Die ErzĂ€hlung, S. 129. Zur âAuflösung des perspektivischen Zentralpunktesâ im
Mann ohne Eigenschaften insgesamt vgl. Honnef-Becker : âUlrich lĂ€chelteâ, S. 32â67, Zit. S. 51.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208