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419âZeitfigurenâ
1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ
Eine Kehrseite seiner ĂŒberaus ĂŒppigen ökonomischen Kapitalausstattung
erinnert in ihren Konsequenzen allerdings paradoxerweise gerade an die trau-
rigen Folgen, die fĂŒr Moosbrugger aus dem nahezu vollstĂ€ndigen Mangel an
jeglichem Kapital resultieren â einerseits in Sachen zwischengeschlechtlicher
Liebe und andererseits im Hinblick auf Freundschaften unter MĂ€nnern. Ăber
die auch bei Arnheim ausbleibende Liebe â ein Problem, an dem zeitgenös-
sische Nabobs wegen ihres sprichwörtlichen Misstrauens zumindest in der
Literatur öfter leiden272 â berichtet der ErzĂ€hler : âEr hatte immer Angst ge-
habt, daĂ die GefĂŒhle, die er in Frauen erregte, nicht ihm, sondern seinem
Geld gelten könnten, und lebte deshalb nur mit Frauen, denen auch er nicht
GefĂŒhle, sondern Geld gab.â (MoE 185) Musil lehnt sich hier in seiner ma-
liziösen Darstellung wiederum an biografische Details aus dem Leben Ra-
thenaus an273, wenngleich er sich ĂŒber dessen angebliche homoerotische Nei-
gungen274 im Roman nobel und konsequent ausschweigt. FĂŒr die Tatsache,
dass Arnheim auch auf konventionelle MĂ€nnerfreundschaften verzichten zu
mĂŒssen glaubt275, gibt der ErzĂ€hler folgende BegrĂŒndung : âEr hatte niemals
einen Freund besessen, weil er sich fĂŒrchtete, miĂbraucht zu werden, sondern
nur GeschÀftsfreunde[276], auch wenn der geschÀftliche Austausch ein geisti-
ger war.â (MoE 185) Kompensiert wird Arnheims emotionale Einsamkeit
mithilfe gewaltiger Ambitionen, durch die sich der Mann ohne Freunde um
die Allgemeinheit verdient machen will. So kursiert ĂŒber ihn ein âintime[s]
GerĂŒcht[ ]â, âwonach dieser Sohn [âŠ] durchaus nicht bloĂ nach der Stellung
seines Vaters strebe, sondern, auf den Zug der Zeit und seine internationalen
Beziehungen gestĂŒtzt, sich auf eine Reichsministerschaft vorbereite. Nach der
272 Vgl. dazu die ironischen RatschlÀge, die Irmgard Keun ihren eroberungswilligen Geschlechts-
genossinnen hinsichtlich der Nabobs unter dem vielversprechenden Titel System des MĂ€nner-
fangs im April-Heft 1932 des neusachlichen Journals Der Querschnitt erteilte : âNabobs sind
miĂtrauisch. Ein gutes Rezept : man tue, als halte man ihn fĂŒr einen Hochstapler und armen
Schlucker â und was man an ihm bewundert, sind seine rein mĂ€nnlichen Reize und VorzĂŒge.
Im ersten Stadium der Bekanntschaft weise man jedes Geschenk zurĂŒck !â (Keun : System des
MĂ€nnerfangs, S. 273)
273 Vgl. dazu die pikanten Informationen in Corino : Musil [2003], S. 873 f. u. 1718, Anm. 73.
274 Vgl. Howald : Ăsthetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 279 ; Brenner : Rathenau, S. 254
u. passim.
275 Zum historischen Modell Rathenau vgl. ebd., S. 59 f.: âIn seiner Kindheit hatte er wenig Kon-
takt zu gleichaltrigen Jungen gehabt. [âŠ] Sein bester Freund war sein Bruder Erich â doch
der war vier Jahre jĂŒnger und zudem noch krank. [âŠ] Er [Walther Rathenau, N. C. W.] war
EinzelgĂ€nger und hatte schon auf dem Gymnasium leidvoll erfahren mĂŒssen, wie schnell man
den Spott und die Wut der Mehrheit auf sich zieht, wenn man sich allzu vertrauensselig gibt.â
276 Wenig spĂ€ter ist freilich von ânahen Freunden Arnheimsâ die Rede (MoE 188), die man sich
also offenbar mehr oder weniger als âGeschĂ€ftsfreundeâ vorzustellen hat.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208