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434 Teil II: Romantext als KrÀftefeld
feststellt.306 Darauf wird im Verlauf dieses Kapitels noch zurĂŒckzukommen
sein.307
Vorher aber muss noch die âdritte Quelle von Arnheims BerĂŒhmtheitâ ge-
nannt werden, die nicht im symbolischen Bereich, sondern â ganz handfest â
âin der Wirtschaftâ liegt, wenngleich auch hier symbolische Aspekte eine nicht
unerhebliche Rolle spielen :
Es erging ihm nicht schlecht mit ihren alten, seebefahrenen KapitÀnen ; wenn er ein
groĂes GeschĂ€ft mit ihnen zu vereinbaren hatte, legte er selbst die gerissensten hi-
nein. Sie hielten zwar nicht viel von ihm als Kaufmann und nannten ihn den âKron-
prinzenâ, zum Unterschied von seinem Vater, dessen kurze, dicke Zunge nicht be-
weglich zu reden vermochte, aber dafĂŒr im weitesten Umkreis und an den feinsten
Anzeichen herausschmeckte, was ein GeschĂ€ft war. Diesen fĂŒrchteten sie und ver-
ehrten ihn ; wenn sie aber von den philosophischen Forderungen hörten, die der
Kronprinz an ihren Stand stellte und sogar in die sachlichsten Unterredungen ver-
flocht, so lĂ€chelten sie. [âŠ] Aber immerhin, wenn sie auch dazu lĂ€chelten, konnten
sie doch nicht ganz ĂŒbersehen, daĂ Arnheim junior gerade mit diesen Zutaten zum
GeschĂ€ft die öffentliche Meinung in steigendem MaĂe beschĂ€ftigte. (MoE 192)
Der Aufmerksamkeitsgewinn, den Arnheims Agieren in eigener Sache fĂŒr die
Wirtschaft insgesamt erzielt, ist nicht zu vernachlĂ€ssigen â zumal davon ge-
sellschaftliche Bereiche erfasst werden, die sich dem ökonomischen KalkĂŒl
bisher verschlossen zeigten :
Bald im wirtschaftlichen, bald im politischen oder im kulturellen Teil der groĂen BlĂ€t-
ter aller Nationen erschien eine Nachricht ĂŒber ihn, die WĂŒrdigung einer Arbeit aus
seiner Feder, der Bericht ĂŒber eine bemerkenswerte Rede, die er irgendwo gehalten
hatte, die Mitteilung von seinem Empfang durch irgendeinen Herrscher oder Kunst-
verein, und es gab in dem sonst in der Stille und hinter doppelt verschlossenen TĂŒren
wirkenden Kreis der GroĂunternehmer bald keinen Mann, von dem drauĂen so viel
die Rede gewesen wÀre, wie von ihm. (MoE 192)
Die zuerst herablassende Ironie der WirtschaftsfĂŒhrer gegenĂŒber dem âKron-
prinzenâ308 verwandelt sich angesichts seiner Ăffentlichkeitswirksamkeit und
306 Ebd.
307 Vgl. auch den Abschnitt zu Ulrich und Arnheim in Kap. II.3.2.
308 Auch dieses Detail entspricht den biografisch verbĂŒrgten Fakten aus dem Leben Rathenaus,
vgl. Brenner : Rathenau, S. 250, zu den Managern der AEG : âDen Herren war Walther nicht
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208