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435âZeitfigurenâ
1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ
seines bald auch konzernpolitisch messbaren Erfolgs309 zunehmend in eine
von Eifersucht geprÀgte und macht allmÀhlich ganz einer vom gegenseitigen
Interesse getragenen Anerkennung Platz :
Bei aller Ironie, die sie fĂŒr seine Neigungen bereit hatten, war es ihnen angenehm,
an ihm einen Mann zu besitzen, der ihre BedĂŒrfnisse auf einer Bischofsversammlung
ebensogut zu vertreten vermochte wie auf einem SoziologenkongreĂ ; ja er gewann
schlieĂlich einen Ă€hnlichen EinfluĂ auf sie, wie ihn eine schöne und schöngeistige
Gattin ausĂŒbt, welche die ewige KontortĂ€tigkeit schmĂ€lt, aber dem GeschĂ€ft nĂŒtzt,
weil sie von allen bewundert wird. (MoE 193)
Zur ErklĂ€rung von âArnheims BerĂŒhmtheitâ formuliert der ErzĂ€hler folgendes
vorlÀufige Fazit :
Die Grundgestalt seines Erfolgs war ĂŒberall die gleiche ; umgeben von dem Zauber-
schein seines Reichtums und dem GerĂŒcht seiner Bedeutung, muĂte er immer mit
Menschen verkehren, die ihn auf ihrem Gebiet ĂŒberragten, aber er gefiel ihnen als
Fachfremder mit ĂŒberraschenden Kenntnissen von ihrem Fach und schĂŒchterte sie
ein, indem er in seiner Person Beziehungen ihrer Welt zu anderen Welten darstellte,
von denen sie keine Ahnung hatten. (MoE 193)
Entscheidend fĂŒr Arnheims öffentliche Reputation ist demnach die einzig-
artige Verbindung von unermesslichem Reichtum, ostensibler Kultiviertheit
und schriftstellerischer ProduktivitĂ€t in einer Person : â[A]us alledem entstand
das bekannte GerĂŒcht von des Mannes ĂŒberragender Bedeutung und seiner
glĂŒcklichen Hand.â (MoE 193)
Auf der Basis seines sozialen Erbes und seiner daraus resultierenden vor-
teilhaften Kapitalausstattung in oeconomicis entwickelt der kultivierte Diskurs-
beherrscher Arnheim nun eine ausgefeilte Metaphysik des Besitzes, die die
herkömmliche Dialektik von âSeinâ und âHabenâ auf den Kopf zu stellen ver-
mag. So
grĂŒn, sie verachteten ihn wegen seiner journalistischen AusfĂ€lle und seines bohemienhaften
Lebenswandels, vor allem aber trauten sie ihm lange nicht das geschÀftliche Format des Vaters
zu.â
309 âNun braucht man sich [âŠ] nur [âŠ] die Wirkung Maeterlinckscher oder Bergsonscher Philo-
sophie, angewendet auf die Fragen von Kohlenpreis und Kartellierungspolitik vorzustellen, um
zu ermessen, wie niederdrĂŒckend [âŠ] der jĂŒngere Arnheim auf Industriellenversammlungen
und in DirektionsbĂŒros wirken konnte, sobald er dahin als der Gesandte seines Vaters kam und
von Anfang bis zu Ende angehört werden muĂte.â (MoE 193)
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208