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445âZeitfigurenâ
1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ
hegelianisch anmutenden Geschichtsphilosophie, mit der sich auch noch die
seichteste Klatschreportage legitimieren lÀsst :
Er hatte den Journalisten, die ihn ĂŒber das Konzil befragten, geantwortet, daĂ schon
die Tatsache dieser Zusammenkunft ihre tiefe Notwendigkeit beweise, denn in der
Weltgeschichte geschehe nichts UnvernĂŒnftiges, und damit hatte er so ausgezeichnet
ihre Berufsstimmung getroffen, daĂ dieser Ausspruch in mehreren Zeitungen wie-
dergegeben wurde. Es war, wenn man ihn nÀher betrachtet, auch wirklich ein guter
Satz. Denn Menschen, die alles, was geschieht, wichtig nehmen, mĂŒĂte ĂŒbel werden,
wenn sie nicht die Ăberzeugung hĂ€tten, daĂ nichts UnvernĂŒnftiges geschieht [âŠ].
(MoE 327)
An anderer Stelle meint Arnheim sogar, âletzten Endesâ geschehe âin der
Weltgeschichte nichts Negativesâ (MoE 197). Kurz : â[D]ie Welt war in Ord-
nung, sobald sie Arnheim betrachtet hatte.â (MoE 178) Dergestalt erweist
und bewĂ€hrt er sich als Vertreter der âSoziodizeeâ, jener reaktionĂ€ren Ansicht,
die herrschende Wirklichkeit sei die bestmögliche, also ontologisch gerecht-
fertigt und notwendig, ja bei unbotmĂ€Ăiger Infragestellung mit allen Mitteln
zu verteidigen.327 Von einer wirklichkeitskritischen Haltung, wie sie Ulrich
programmatisch vertritt, kann bei ihm und den apostrophierten Journalisten
aus freilich unterschiedlichen GrĂŒnden keine Rede sein. Die auch von ihnen
wahrgenommenen MĂ€ngel des Bestehenden lassen sich hingegen durch die
nonchalante Einstellung, wonach andererseits nichts auf der Welt âzu wichtig
zu nehmenâ ist, âund sei es gerade das Bedeutende selbstâ (MoE 327), auf
elegante Weise eskamotieren â eine durch einen gewissen Zynismus geprĂ€gte
Haltung, die Arnheim beruflich mit den Journalisten teilt, nicht aber mit den
âernst zu nehmendenâ Schriftstellern im normativen VerstĂ€ndnis Musils.
Hinsichtlich seiner politischen Gesinnung legt Arnheim â Ă€hnlich ĂŒbrigens
wie einst Ulrich, der sich von dieser Haltung allerdings allmÀhlich entfernt
(vgl. MoE 154) â denn auch konsequent Skepsis gegenĂŒber der Demokratie
an den Tag, wenn es darum geht, âetwas GroĂesâ fĂŒr die Parallelaktion zu
bewirken : â[N]icht eine Demokratie von AusschĂŒssen, sondern nur einzelne
starke Menschen, mit Erfahrung sowohl in der Wirklichkeit wie im Gebiet
der Ideen, wĂŒrden die Aktion lenken können !â (MoE 109) â und das, obwohl
er doch âim königlichen Kaufmannâ nicht allein âdie Synthese von Umsturz
und Beharren, Macht und bĂŒrgerlicher Zivilisiertheit, vernĂŒnftigem Wagnis
und charaktervollem Wissen zu erblickenâ glaubt, sondern âzuinnerstâ auch
327 Vgl. Kap. I.3.2.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208