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447âZeitfigurenâ
1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ
Nabob mit seinen Wien-Aufenthalten âein Ziel verfolgte, das unter UmstĂ€n-
den ĂŒberraschend lohnend sein konnteâ (MoE 382). Arnheim hingegen be-
hauptet, âer sei in diese alte Stadt nur gekommen, um sich im Barockzauber
alter österreichischer Kultur ein wenig vom Rechnen, vom Materialismus, von
der öden Vernunft eines heute schaffenden Zivilisationsmenschen zu erho-
lenâ (MoE 109). Im weiteren Romanverlauf bestĂ€tigt sich die Version mit den
Ălfeldern (vgl. MoE 642, 774 f. u. 1005â1009).330 Arnheim, der im Unterschied
zu Rathenau331 ĂŒberdies âeine Kanonen- und Panzerplattenfabrikâ besitzt âund
fĂŒr den Ernstfall auf ungeheure Munitionserzeugung eingerichtetâ ist (MoE
404), hat also gelogen. Dennoch wird ihm in Wien niemand diese charakter-
liche Unehrlichkeit ĂŒbel nehmen, da sein schmeichelnder Vorwand332 einem
eminenten BedĂŒrfnis der Zeitgenossen nach groĂer idealistischer Geste und
antimodernistischer Pose entspricht. Wie schon erwÀhnt, liebt es der Industri-
ellensohn ĂŒberhaupt, an die angeblich verloren gehenden âinneren Stimmenâ
(MoE 109) zu appellieren und sich â durchaus geschĂ€ftsfördernd â in zeit-
typischen antirationalistischen GemeinplÀtzen zu ergehen, die vom ErzÀhler
bereits im Falle Walters als kompensatorische ideologische Konstrukte ent-
larvt worden sind : â[W]ir wissen heute zuviel, der Verstand tyrannisiert unser
Leben.â (MoE 109) Die strukturelle Opposition Arnheims zu Ulrich tritt an
solchen Stellen deutlich zutage.
Entsprechendes gilt fĂŒr Arnheims enorme Ăffentlichkeitswirksamkeit333,
die in einem scharfen Kontrast zur fehlenden öffentlichen âNotorietĂ€tâ Ulrichs
â oder gar Musils â steht ; er hat die âunbewuĂte Gabe, der Presse zu gefallenâ
(MoE 327), worin er sich vom historischen Rathenau signifikant unterschei-
det.334 Wie bereits angedeutet, liegt das Geheimnis dieses Erfolgs wohl nicht
zuletzt im Erfolg selber. Anders ausgedrĂŒckt : Der GroĂerbe hat Macht, was
seine AttraktivitÀt nicht nur bei den ihrerseits um Macht buhlenden MÀnnern,
sondern gerade auch bei den seinerzeit noch recht machtlosen Frauen â eine
nicht erst im 20. Jahrhundert wichtige Zielgruppe der Massenmedien â ins
Unermessliche steigert. In Bourdieus Worten :
oeconomicus und sein Kredit, S. 309, fĂ€lschlich annimmt â sonst hĂ€tte Musils Arnheim-Figur
ihre AktivitĂ€ten nicht in Wien, sondern in Moskau oder St. Petersburg entfalten mĂŒssen.
330 Vgl. Arntzen : Musil-Kommentar, S. 240.
331 Vgl. Heimböckel : Rathenau und die Literatur seiner Zeit, S. 30.
332 McBride : âEin schreibender Eisenkönig ?â, S. 293, sieht âin Arnheims Faszination durch die alt-
herkömmliche, gemĂŒtsvolle Kultur Ăsterreichsâ eine charakteristische romaneske Adaptation
von âRathenaus Anbetung der verklĂ€rten preuĂischen Vergangenheitâ.
333 Vgl. dazu SchĂŒtz : âDu brauchst bloĂ in die Zeitung hineinzusehenâ, S. 282.
334 Vgl. Heimböckel : Rathenau und die Literatur seiner Zeit, S. 31.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208