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466 Teil II: Romantext als KrÀftefeld
Vorstellungen wohl nicht zu Unrecht eine AffinitÀt zur politischen Romantik
diagnostiziert, deren Àsthetisierende Gesellschaftskonzeptionen um die Jahr-
hundertwende wieder aktualisiert worden waren.393 Eine solche ideenge-
schichtlich durchaus stichhaltige Filiation ist philologisch aber genauso we-
nig zu verifizieren wie die ebenfalls von MĂŒller suggerierte Entlehnung von
Leinsdorfs Lieblingsvokabel âwahrâ aus Othmar Spanns Buch Der wahre Staat
(1921), das selbst auf romantischer Staatstheorie fuĂt und den Vorstellungen
des romanesken Grafen in mancher Hinsicht nahekommt.394 âEinflussphi-
lologischâ ĂŒberzeugender sind hingegen FrisĂ©s Beleg, dass Leinsdorfs Aus-
spruch âwir alle sind ja im Innersten Sozialistenâ auf Musils Bekanntschaft mit
einem nicht nĂ€her identifizierten Bauunternehmer âWâ wĂ€hrend des Kriegs
zurĂŒckgeht (vgl. Tb 1, 324 f.; Tb 2, 229, Anm. 100), sowie Stefan Howalds
Hinweis, dass die geplanten, aber nicht in GĂ€nze ausgefĂŒhrten Ăberlegungen
des Grafen zum Thema Mittelstand (vgl. Tb 1, 411 f.) einem schwĂŒlstigen
Artikel aus der monarchistischen Wiener Zeitschrift Staatswehr. MilitÀrpoli-
tisches und wirtschaftliches Wochenblatt (3. Jahrgang, 23. Juli 1920) entnommen
sind.395 Ideologiegeschichtlich weitaus relevanter als die Suche nach ominösen
singulĂ€ren âEinflĂŒssenâ scheint jedoch die bisher noch kaum diskutierte NĂ€he
der Leinsdorfâschen Ansichten zu den seinerzeit virulenten stĂ€ndestaatlichen
Konzeptionen des christlichsozialen Austrofaschismus, mit denen Musil um
und nach 1930 unmittelbar konfrontiert war.396 Die âGrundgedankenâ und
âSehnsĂŒchteâ, die dem auch von Leinsdorf vertretenen âkatholischen StĂ€n-
demodellâ zugrunde lagen, skizziert der Historiker Ernst Hanisch wie folgt :
âZunĂ€chst und zentral drĂŒckte es ein weitverbreitetes Unbehagen an der mo-
393 Vgl. MĂŒller : Ideologiekritik und Metasprache, S. 16â21.
394 Vgl. ebd. sowie die Kritik von Howald : Ăsthetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 254, Anm.
164, der allenfalls in Musils Exzerpt aus Paul Honigsheims Aufsatz GrundzĂŒge einer Geschichtsphi-
losophie der Bildung (Tb 1, 653â658, bes. S. 656 ff.; vgl. Tb 2, 461â471) eine allerdings nur beilĂ€ufige
BerĂŒhrung mit der politischen Romantik gelten lĂ€sst. Was Howald freilich nicht wissen konnte, ist,
dass Musil Ernst von Salomon âvor der UnverstĂ€ndlichkeitâ der âDenkweiseâ Spanns ausdrĂŒcklich
gewarnt hat, als âSalomon sich Anfang Oktober 1932 anschickte, sich auf Einladung Spanns fĂŒr
einige Zeit nach Wien zu begebenâ, wie Corino : Musil [2003], S. 1789, Anm. 62, auf der Basis einer
mĂŒndlichen Information Salomons mitteilt. Wenn man dieser Auskunft Glauben schenkt, dann
muss Musil doch eine gewisse Kenntnis der Schriften Spanns gehabt haben.
395 Howald : Ăsthetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 254, Anm. 165, unter Verweis auf
Arntzen : Musil-Kommentar, S. 179. Der besagte unsignierte Artikel trÀgt den Titel Das Mittel-
stands-Martyrium und VerklÀrung (vgl. Tb 2, 261 f.) ; dazu Fanta : Die Entstehungsgeschichte des
âMann ohne Eigenschaftenâ, S. 232.
396 Diesen wichtigen historischen Kontext hat bisher nur die österreichische Forschung als solchen
erkannt ; vgl. die Hinweise in Aspetsberger : Anderer Zustand, FĂŒr â In. Musil und einige Zeit-
genossen, S. 48, sowie in Amann : Musil â Literatur und Politik, S. 80â84.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208