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472 Teil II: Romantext als KrÀftefeld
Hand ; eine starke Hand braucht aber schöne Worte, sonst lĂ€Ăt sich das Volk
sie heute nicht gefallen.â (MoE 850) Die solcherart geforderte Kombination
einer âstarken Handâ mit âschönen Wortenâ, mittels derer sich eine hart durch-
greifende Politik öffentlichkeitswirksam verkaufen lÀsst, macht die tiefere In-
tention sichtbar, die sich fĂŒr Leinsdorf mit der von ihm als unabhĂ€ngiges Ko-
mitee initiierten Parallelaktion verbindet â zumal er infolge einer âdoppelten
Mangelerfahrungâ erkannt hat, dass Staat und Kirche allein als âmoralische
Anstaltenâ âden zeitgenössischen Anforderungen in diesem Bereich nicht
mehr genĂŒgenâ können ; âan ihre Stelle muĂ der zivile Idealismus tretenâ.413
In der de facto parastaatlichen âgroĂen vaterlĂ€ndischen Aktionâ (MoE 86, 88,
95 u. ö.), die als Institution âneben und auĂerhalb der vorhandenen politi-
schen Organisationenâ414 auf heutige gesellschaftspolitische Initiativen meist
verdeckter Interessengruppen aus Staat und Wirtschaft vorausdeutet, âverbin-
det er praktische Interessenorganisation und darĂŒber hinausgehende ideelle
BedĂŒrfnisbefriedigungâ415. Bei seiner konzeptionellen Planung orientiert er
sich ideologisch an âden vier Punkten : Friedenskaiser, europĂ€ischer Mark-
stein, wahres Ăsterreich und Besitz und Bildungâ (MoE 87), wobei er unter
den einzigen soziologisch konkreten Begriffen âBesitz und Bildungâ jene âzwei
in sich so vielfĂ€ltigen Elementeâ versteht, âdie sich bei Diotima mischtenâ
(MoE 101) ; selbst hier erweist sich seine politisch-ideologische Terminologie
jedoch als relativ schwammig, wenngleich nicht ganz so nichtssagend, wie
Howald meint.416 Als Adeliger vertritt Leinsdorf das altehrwĂŒrdige, seiner-
413 Howald : Ăsthetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 252.
414 Ebd., S. 253 : âDie [âŠ] in den herkömmlichen Politikformen offenbar nicht befriedigte Selbst-
aktivitÀt von unten soll in einer Perspektive von oben in Dienst genommen werden. Dies ist die
Aufgabe der bĂŒrgerlichen Bildung. Leinsdorf will dem BĂŒrgertum durch Machtpartizipation
bewusst die frĂŒhere Funktion der Kirche als ideologische Vergesellschaftungsmacht ĂŒberge-
ben. Die Parallelaktion soll die praktischen Interessen in ideelle Werte umwandeln und ihnen
so eine ideologische Bewegungsform geben, die sozial konservierend wirkt. In einem ersten
tastenden Versuch propagiert Graf Leinsdorf deshalb, neben und parallel zur Suche nach einer
grossen, vereinheitlichenden Idee, die Bildung und Förderung von Vereinen (GW 1, 348).â Zur
bezeichnenden Differenz zwischen dieser Strategie und der konservativeren ihres historischen
Vorbilds Liechtenstein vgl. ebd., Anm. 162.
415 Ebd.
416 Die von Howald inkriminierte uneinheitliche Begriffsverwendung ist wohl in erster Linie nicht
dem Autor, sondern der Figur Leinsdorf anzulasten : âMusil gebraucht den Begriff nicht ganz
einheitlich. Bei der ersten Verwendung soll damit gerade die Vermischung von Adel und BĂŒr-
gertum angezeigt werden (GW 1, 100 ; 101), wĂ€hrend er spĂ€ter als Synonym fĂŒrs BĂŒrgertum
gilt, das dem Adel durch die Verfassung von 1861 an die Seite hĂ€tte treten sollen (GW 1, 846).â
(Ebd., S. 252, Anm. 159) Vgl. aber BruckmĂŒller : Sozialgeschichte Ăsterreichs, S. 261, der das
âSchlagwort âBesitz und Bildungââ ganz konkret mit der âElite des BĂŒrgertumsâ bzw. der âzweiten
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208